Der 21. Juli
nicht leer ausgegangen. Vielleicht sollten wir uns verständigen, dass alles bleibt, wie es ist. Wir sind Europäer, die Amis sollen bleiben, wo sie hingehören.«
Berija würde sich totlachen, wenn er ihm berichtete, die Deutschen hielten die Russen für Europäer. Das hatte doch mal anders geklungen: Mongolen, asiatische Horden, Dschingis Khan. Aber in einem Punkt gab er Schellenberg Recht: Die
Amerikaner rüsteten auf, sie taten dies nicht ohne Grund. Und sie besaßen eine enorme Wirtschaftskraft.
»Was halten Sie von einem Nichtangriffsvertrag?«, fragte Schellenberg. »In dem könnten wir auch die jetzigen Grenzen festschreiben.«
Er schaute einen Augenblick zu der blauen Kristalllampe an der Decke. »Mein Reichsfühler wäre sogar mit einem Beistandspakt einverstanden.«
Grujewitsch nickte. Es überraschte ihn nicht. Es war seltsam mit den Deutschen. Entweder fielen sie über einen her, oder sie umarmten einen.
»Vorher müssen wir natürlich die diplomatischen Beziehungen wieder aufnehmen«, sagte Schellenberg.
Ein Paukenschlag nach dem anderen. In der westlichen Presse wurde das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau gelegentlich mit der Metapher »Eiszeit« beschrieben. Grujewitsch fand es untertrieben. Die Deutschen hatten einen großen Teil der Sowjetunion zerstört, sie hatten Minsk ausgelöscht. Es war Berijas strategisches Genie, unter dem Leichenberg des deutschsowjetischen Kriegs gemeinsame Interessen auszugraben. Früher hatte sie der Nationalsozialismus irritiert. Hitler und Goebbels wetterten gegen die jüdischen Plutokraten, manche in der Nazipartei wollten sogar ein Bündnis mit der Sowjetunion gegen die Mächte des Kapitals. Als 1939 der Pakt abgeschlossen wurde, dachten viele in Moskau, es handle sich um mehr als einen reinen Akt der Vernunft. Nun war Hitler tot, und Goebbels saß in Plötzensee. Trotzdem, Deutschland und die Sowjetunion lehnten die amerikanische Demokratie als Irrweg ab, fürchteten sie als Bedrohung der eigenen Macht. In Deutschland hatte sich die NS-Diktatur in einen Ständestaat verwandelt. Es sollten die Besten regieren, Fachleute. Kaum einer wollte das Weimarer Gezänk wieder aufleben lassen. Es ging um Deutschland, nicht um Ideologien.
In der Sowjetunion hatte der Terror nachgelassen, seit Stalin gestorben war. Berija hatte zwar die besten Karten, aber es gab weitere Führer, mit denen er sich zusammenraufen musste, wie Malenkow, Molotow oder Chruschtschow.
»Sie haben es eilig?«, fragte Grujewitsch.
Schellenberg kratzte sich am Kopf. Er lächelte und sah so aus, als würde er gleich seine Spielzeugautos auspacken. »Wenn etwas richtig ist, wird es durch Warten nicht richtiger«, erwiderte er. »Die Sache ist im Kern einfach. Es gibt drei Mächte, von denen jede die anderen vernichten kann. Wir haben einen technischen Vorsprung, aber die Amerikaner haben ihre Fließbandproduktion, Masse statt Klasse. Sie in der Sowjetunion können mit ihrer Planwirtschaft ein ganzes Volk auf eine Aufgabe konzentrieren. Trotz der Verwüstungen des Kriegs rüsten Sie auf, wir verfolgen es genau.«
»Sie haben die Waffen auch nicht weggeworfen«, sagte Grujewitsch.
»Natürlich nicht.«
»Herr Schellenberg, Sie sind hier als Abgesandter Ihres Reichsführers, ich vertrete nicht nur den Genossen Minister, sondern die sowjetische Regierung. Sie gestatten deshalb vielleicht die Frage, welche Rolle Herr Himmler in Deutschland spielt. Man hört so wenig von ihm.«
Schellenberg schmunzelte. »Meinen Reichsführer drängt es nicht in den Vordergrund. Er ist kein Marktschreier, sondern ein Mann, der seine vaterländische Pflicht erfüllt. Hinzu kommt, es hat immer wieder Vorwürfe gegen die SS gegeben, ja, gegen Herrn Himmler persönlich. Natürlich nur hinter vorgehaltener Hand, aber es waren dennoch Beleidigungen. Die meisten Deutschen lieben die SS nicht, aber sie bewundern sie, seit wir bedauerlicherweise eine Uranbombe einsetzen mussten. Mehr als jedem anderen ist es meinem Reichsführer zu verdanken, dass wir die Bombe rechtzeitig bauen konnten. Ich weiß, Herr Grujewitsch, dass diese Sache in Ihrem Land großes Leid und großen Zorn hervorgerufen hat. Doch bitte ich Sie, sich einmal in unsere Lage zu versetzen.«
Grujewitsch beabsichtigte nicht, dies zu tun. Er mühte sich um einen nichts sagenden Gesichtsausdruck.
Schellenberg zündete sich eine Zigarette an. Er schenkte beiden noch einmal aus der Wodkaflasche ein. »Wollen Sie nicht etwas essen?
Auf leeren Magen trinkt es
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