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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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sich schlecht.« Grujewitsch nahm einen Teller und bediente sich. Wann hatte er das letzte Mal Kaviar bekommen? Bei einem Empfang zum neunundzwanzigsten Jahrestag der Revolution im Haus des Obersten Sowjets im Oktober 1946. Viele hatten ihm auf die Schultern geklopft, er war ein Kriegsheld, der seine Orden stolz trug.
    »Wir könnten auch wieder Handel miteinander treiben. Das würde die Kriegswunden schneller heilen lassen«, sagte Schellenberg. Es klang wie eine Entschuldigung für Minsk.
    Grujewitsch aß einen Happen norwegischen Lachs und nickte. Ja, das könnten sie. »Und was, glauben Sie, fällt den Amerikanern ein, wenn wir so verfahren, wie Sie es vorschlagen?«
    Der Dolmetscher saß fett in seinem Sessel und schmatzte, Hering in Öl.
    Schellenberg schien überrascht.
    »Sehen Sie«, sagte Grujewitsch leise, aber deutlich, »wir wissen natürlich, dass die Amerikaner am liebsten mit Ihnen ins Geschäft kommen würden.«
    »Natürlich«, sagte Schellenberg.
    Worauf bezog er sich, auf das Geschäft oder auf das Wissen der Russen darüber? »Und wir wissen auch, dass es in Deutschland starke Kräfte gibt, die am liebsten schon morgen die Verlobung verkünden würden. Ich denke da zum Beispiel an Ihren Wirtschaftsminister Erhard ...«
    »Herr Erhard ist ein guter Fachmann, aber er bestimmt nicht die Politik.«
    »Tut das denn Ihr Reichsführer?«
    »Ich glaube nicht, dass in Deutschland eine Grundsatzentscheidung gegen den Reichsführer getroffen werden könnte«, sagte Schellenberg gelassen. »Deutschland steht machtpolitisch auf zwei Säulen. Das ist die Wehrmacht, und das ist die SS. Die Wehrmacht ist für die äußere Sicherheit zuständig, die SS für die innere. Früher einmal hat es Hass gegeben zwischen beiden. Das ist vorbei, seitdem jeder weiß, dass es ohne SS nur die Kapitulation gegeben hätte. Wir nennen das Nationale Versöhnung . Manche sagen, die Wehrmacht hat den Krieg verloren, die SS hat ihn gewonnen. Das ist natürlich übertrieben, aber furchtbar falsch ist es auch nicht.«
    »Natürlich«, sagte Grujewitsch.
    Der Dolmetscher steckte den kleinen Finger seiner rechten Hand in ein Nasenloch, krümmte ihn und zog ihn wieder heraus. Er betrachtete seine Beute und schnalzte sie auf den Teppich.
    »Ich will offen sein, Herr Grujewitsch. Ohne meinen Reichsführer gäbe es vielleicht längst ein Bündnis mit den Amerikanern. Nicht nur Erhard, sondern vor allem auch Goerdeler ist dafür. Die Wehrmachtführung ist sich nicht einig. Unser starker Arbeitsminister Julius Leber ist nicht gerade Ihr bester Freund. Das erlebt man bei früheren Sozialdemokraten ja leider häufig. Aber gegen Herrn Himmler klappt das nicht. Er ist die graue Eminenz der deutschen Politik.«
    »Und Herr Göring?«
    »Unser Präsident ist leider alt und schwach. Er lässt sich in der Öffentlichkeit kaum noch blicken. Außerdem, Sie wissen es, haben wir das Präsidentenamt nicht gerade mit großer Machtfülle ausgestattet.«
    Grujewitsch nickte. Göring hatte sich mit Morphium zerstört. »Das heißt, wenn Ihr Reichsführer nicht wäre, würde Deutschland alles versuchen, um mit den USA handelseinig zu werden. Deutschland und die Vereinigten Staaten gegen die Sowjetunion, darauf liefe es hinaus.«
    Schellenberg nickte. Er sah betrübt aus.
    ***
    Ich war zwar nicht gut in Mathematik, aber Rechnen kann ich. Gruppenführer Werner Krause betrachtete die Papiere auf seinem Schreibtisch. Da war die Meldung, die über die Botschaft in Uruguay hereingetrudelt war. Da gab es die Personalakte Werdin, die er sich bei Reitberg ausgeliehen hatte. In der Akte fehlten die Seiten der letzten Monate vor Werdins Flucht. Sie hatten überprüft, welche SS-Männer in den letzten Wochen des Kriegs übergelaufen waren. Es waren wenige. Sie hatten den Zwischenfall in Gremberghoven untersucht, die Beschreibung des Wirts von der Gaststätte Zum Löwen passte auf Werdin. Die Kameraden, die den Verräter am Ufer fast noch gestellt hätten, konnte er nicht mehr befragen. Sie waren seltsamerweise alle tot. Es blieb viel Ungewisses, doch musste Krause nur eins und eins zusammenzählen, das Ergebnis war Werdin. Er kam also zurück. Warum? Wohin wollte er? Wie und wo wollte er einreisen?
    Krause erinnerte sich an ihr Duell im Schießkeller und ihr Gespräch in der Kneipe am Anhalter Bahnhof. Er musste lachen. Werdin hatte den Ahnungslosen gegeben. Und dann war er abgehauen. Warum wurde er nicht verhaftet und verhört, wenn gegen ihn was vorlag? Warum der

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