Der 21. Juli
einfällt.«
»Sehr lehrreich«, sagte Werdin, er betonte das »sehr«.
Dulles ließ sich seinen Ärger nicht anmerken. Dem Deutschen war es scheißegal, ob die Welt unterging oder die Vereinigten Staaten, was für Dulles aufs Gleiche herauskam. Werdin saß ruhig in seinem Sessel, die Beine übereinander geschlagen, trank einen Schluck Kaffee, schaute aus dem Fenster oder bewunderte die reiche Ausstattung von Dulles’ Dienstzimmer. Man könnte ihm sagen, dass morgen Amerika in die Luft fliegt, und der Typ würde antworten: Ach wirklich? Dulles spürte, er richtete mit seinem Vortrag nichts aus. Den regte die tödliche Gefahr so auf wie der Tod eines Suppenhuhns auf einer Dorfstraße in West Virginia. Dulles fragte sich, warum man für Selbstbeherrschung keinen Orden kriegte. Er zündete sich eine Zigarette an.
»Sie können sich vielleicht vorstellen, dass McCarthy nicht beglückt ist angesichts der Vorstellung, dass er der letzte Präsident der USA sein könnte. Auch wenn ihm das einen prominenten Platz in künftigen Geschichtsbüchern sichern würde.«
»Ja. Aber was hat das mit mir zu tun?«, fragte Werdin. Die Finger seiner rechten Hand begannen leise auf der Sessellehne zu trommeln.
»Unsere Hoffnung liegt auf Ihnen«, sagte Dulles.
Werdin drehte ihm das Gesicht zu, seine Augen schauten den CIA-Chef an, als hielte er ihn für einen entsprungenen Irren.
»Ich kann verstehen, dass Sie mir das nicht glauben. Aber es ist so. Wir haben einen Auftrag für Sie. Wir zahlen Ihnen, so viel Sie wollen. Wenn es nicht den Staatshaushalt sprengt.« Dulles lächelte leicht.
»Hundert Millionen«, sagte Werdin.
»Okay.«
Werdin schüttelte den Kopf: »Ich wollte nur wissen, ob Sie es ernst meinen. Nein, ich schaffe es nicht einmal, die paar tausend Dollar auszugeben, die Sie mir jeden Monat überweisen.«
»Und wenn wir Ihnen nichts mehr überweisen?«
Werdin stand auf und ging zur Tür.
»Nein, so war das nicht gemeint. Bleiben Sie sitzen, Herr Werdin. Wir halten unsere Abmachungen.«
Werdin drehte sich um und ging zurück zu seinem Sessel. Er setzte sich und schlug die Beine übereinander. Er wäre nicht gegangen, jedenfalls nicht, ohne zu erfahren, was es mit dem Brief und dem Foto auf sich hatte.
»Was ist mit dem Foto?«, fragte er.
Dulles öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Er setzte neu an: »Eins nach dem anderen. Erst hören Sie mir zu, anschließend erfahren Sie alles über den Umschlag. Wir möchten, dass Sie nach Deutschland gehen.«
Werdin verzog keine Miene.
»Töten Sie Heinrich Himmler«, sagte Dulles. Er erschrak über sich selbst. Wenn Werdin ablehnte und irgendjemandem davon erzählte, dann rollte nicht nur Dulles’ Kopf. Aber wie sollte er den Panzer aufbrechen, den der Deutsche um sein Inneres gelegt hatte? So, wie Werdin gestrickt war, war er der perfekte Attentäter, Nerven wie Schiffstaue.
»Warum sagen Sie nicht gleich, ich soll mich vom Empire State Building stürzen?«, fragte Werdin. »Meine Überlebenschancen wären größer als bei Ihrem Auftrag. >Töten Sie Heinrich Himmler! <«, wiederholte er, leicht den Kopf schüttelnd. »Sie sind verrückt. Es gibt bequemere Arten, sich umzubringen.«
»Der Brief wurde vor gut zwei Jahren in den Briefkasten der Schweizer Botschaft in Berlin geworfen«, sagte Dulles.
»Das weiß ich bereits«, sagte Werdin.
»Ich bitte um Verständnis«, sagte Dulles. »Wir mussten den Brief öffnen. Wir haben Nachforschungen in Berlin angestellt.
Wir wollten wissen, ob es ein Trick ist, etwas über Sie herauszukriegen. Ihre Kameraden von der SS sind, fürchte ich, ein bisschen rachsüchtig. Sie mögen keine Deserteure.«
Werdin streckte den Rücken. »Und?«, fragte er.
»Die Absenderin lebt in Berlin-Friedrichsfelde, mit ihrem Sohn. Oder soll ich sagen Ihrem Sohn?«
Werdin starrte regungslos aus dem Fenster.
»Wir hatten Glück. Wir haben einen unserer Leute vor dem Fotogeschäft aufgestellt. Mütter machen gerne Fotos von ihren Kindern. Warum sollte sie andere Bilder bei einem anderen Fotografen entwickeln lassen? Es dauerte ein paar Wochen, bis unser Mann sie erwischt hat. Er ging ihr hinterher, es war leicht.« Es klang so, als erwartete Dulles Lob.
»Da haben Sie sich ja richtig Mühe gegeben«, sagte Werdin leise. Unglauben klang in seiner Stimme. Warum so ein Aufwand wegen eines Fotos und eines belanglosen Briefs, belanglos jedenfalls für die CIA?
»Wir schützen Sie in unserem Interesse«, sagte Dulles. »Auch wenn Sie es
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