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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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nicht glauben, wir sind Ihnen dankbar. Wenn die Amerikaner wüssten, was Sie ihnen erspart haben, dann wären Sie der tollste Hecht hier, berühmter als Charles Lindbergh.«
    Ja, dachte Werdin. Weil ich den Amerikanern berichtet habe, dass die Deutschen mehr Uranbomben gebaut hatten als die eine, die sie auf Minsk warfen. Hätten die Amis nicht klein beigegeben, New York und Chicago wären heute verstrahlte Wüsten. Dafür viertausend Dollar jeden Monat bis ans Ende seiner Tag, das war nicht zu viel. Eine Frechheit, dass Dulles mit dem Gedanken spielte, ihm den Judaslohn zu streichen.
    Dulles erhob sich mit der Langsamkeit eines alten Mannes mit Rückenschmerzen und ging zu seinem Schreibtisch. Er nahm den Pappordner von der Schreibtischunterlage und setzte sich wieder. Bewegungen wie in Zeitlupe, dachte Werdin. Er hatte vor gut einem Jahr im schäbigen Kino von Tierra del Sol einen Tierfilm gesehen, in dem die Zeitlupentechnik benutzt wurde. Erst in der verlangsamten Darstellung, wenn man sah, wie sich die Hinterbeinmuskeln strafften, offenbarte sich die Schnellkraft des Pumas.
    Dulles entnahm dem Ordner einen Umschlag und reichte ihn Werdin. »Die haben wir vor drei Wochen aufgenommen«, sagte er.
    Werdin zog einen Stapel Fotos aus dem Umschlag. Auf dem ersten erkannte er ein braun verputztes zweistöckiges Haus inmitten eines gepflegten Gartens. Ein Maschendrahtzaun trennte ihn vom Bürgersteig.
    »Es war schönes Wetter in Berlin«, sagte Dulles. »Wir hatten Glück.«
    Was für ein Geschwätz, dachte Werdin. Sie haben eben so lange gewartet, bis die Sonne schien. Das soll auch in Berlin vorkommen.
    Er steckte das Bild unter den Stapel. Das zweite Foto zeigte ein Jungengesicht. Ja, verdammt, es ähnelte ihm. Aber war das ein Beweis? Er hatte einmal mit Irma geschlafen, hektisch, die leichte Flak ratterte, schwere 8,8-Zentimeter-Geschütze schickten mit dumpfem Knall Splittergranaten in den Himmel, Bomben explodierten und warfen für Sekunden weißes Licht in ihr Zimmer, gelb flackerten Brände im Nachbarhaus. Es war keine Nacht, um Kinder zu zeugen, dachte Werdin. Aber möglicherweise hatten sie es getan.
    Das nächste Bild zeigte Irma. Der geheime Fotograf hatte sie gut getroffen. Sie kniete am Rand eines Beets im Vorgarten und schaute fast direkt in die Kamera. Vielleicht war gerade eine Elster schnatternd aufgeflogen. Irma schaute ernst, sie trug braune Arbeitshosen und Gummistiefel, einen beigen Pullover, die Ärmel hochgekrempelt. Werdin fühlte, wie seine Gliedmaßen schwer wurden. Er spürte das Blut im Kopf pulsieren. Regungslos starrte er auf das Foto.
    Nach Dienstschluss kaufte sich Al Myers eine Flasche Bourbon und drei Donuts. Mit der braunen Papiertüte unterm Arm schlenderte er durch Wenatchee, einen Vorort nördlich Washingtons. Seine schlechte Laune verließ ihn. Erst nervte dieser eitle und vorlaute Italiener, dann der sture Deutsche, der kaum das Maul aufbrachte. Und wenn, wurde er frech. Myers ahnte, Werdin war nur wegen des Fotos mitgekommen. Ein Romantiker, grinste Myers, ich hätte nie gedacht, dass SS-Männer so gefühlsduselig sind. Carpati war ihm zuwider. Vielleicht hatten die Leute Recht, die sagten, die Zeit der alten Garde sei vorüber. Aber diese gelackten Typen widerten ihn an. Auf der Fahrt mit dem Vorortzug von Washington nach Wenatchee hatte Myers böse aus dem Fenster gestarrt. Aber nachdem er sich eine Flasche Whiskey zugestanden hatte, begann seine Laune zu steigen. Myers ließ sich vom Frühlingswetter anstecken, betrachtete Frauen in ihren leichten Sommerkleidern, die Auslagen in den Geschäften, die »Kauf mich! Kauf mich!« zu rufen schienen. Er setzte sich auf eine Bank und beobachtete den Verkehr. Die USA sind ein reiches Land, dachte er. Jedes Jahr mehr Autos, mehr Geschäfte, aus Konzernen wurden Großkonzerne. Gut, als Amerikaner geboren zu sein. In einem Jahr würde er in Pension gehen.
    Myers wäre ein rundum glücklicher Amerikaner gewesen, hätte er nicht zwei Fehler gemacht. Vor vier Jahren wollte er das tun, was immer mehr Amerikanern gelang: schnell reich werden. Auf den Rat eines Bekannten hin, der als Makler zu Wohlstand gekommen war, investierte er seine Ersparnisse in eine Firma, die Hochhäuser am Rand von Washington baute. Sie garantierte ihren Investoren fünfzehn Prozent Gewinn pro Jahr. Am Anfang sah alles gut aus, aber dann konnte die Firma ihre Subunternehmer nicht mehr bezahlen, schließlich ging sie Pleite. Die beiden Geschäftsführer setzten sich

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