Der 21. Juli
ab, die Presse spekulierte, wie viel sie vorher aus der Baufirma herausgezogen hatten. Myers war es egal, sein Geld war weg, und die beiden Schweine saßen in der Schweiz und ließen die Puppen tanzen.
Der zweite Fehler war eine Folge des ersten. Myers war überzeugt, er hätte sich nie verstricken lassen, wenn ihn nicht die Baulöwen betrogen hätten. Sie waren Schuld, wenn er sich nun das Geld da holte, wo es zu holen war. Myers hatte lange nachgedacht. Die Vorstellung, demnächst von seiner Pension leben zu müssen, beflügelte seine Phantasie. Diebstahl oder Banküberfall kam für ihn nicht in Frage, das war was für Dilettanten, die sich Damenstrümpfe oder Skimützen über den Kopf zogen und doch erwischt wurden. Nein, er besaß etwas, was viele andere nicht hatten: sein Wissen.
Im Sommer 1951 hatte Myers wie viele andere Amerikaner seinen Urlaub in Mexiko verbracht. Dort schloss er das beste Geschäft seines Lebens ab, davon war er überzeugt. Er fühlte sich nach wie vor mies, wenn er daran dachte. Aber hatte er eine Wahl?
Myers setzte seinen Abendspaziergang fort bis zu dem weiß gestrichenen Haus, in dessen zweitem Stock er eine Wohnung gemietet hatte. Er verzichtete wie meist darauf, den Aufzug zu nehmen, und stieg federnden Schritts die Treppe hoch. Er war stolz auf seine Fitness.
Er schloss die Tür zur Wohnung auf und roch sofort den Gestank. Eine Zigarre. Vorsichtig legte er die Papiertüte auf das Telefontischchen am Wohnungseingang und zog seinen Dienstrevolver. Myers hatte keine Angst, er fühlte, wie die Anspannung wuchs, er war ein guter Schütze, die Waffe in seiner rechten Hand verlieh ihm Sicherheit.
Die Tür zum Wohnzimmer war nicht ganz geschlossen, lockere weiße Rauchschwaden zogen in den Flur. Myers schlich sich zur Tür und öffnete sie mit der linken Hand. Er presste sich außen an den Türrahmen und schob seinen Kopf langsam vor. Inmitten des Nebels sah er den glänzenden Hinterkopf eines Manns, der in einem Sessel saß, die Rückenlehne Myers zugekehrt. Eine neue Rauchwolke stieg auf. Da sitzt jemand in meinem Lieblingssessel und verpestet die Wohnung mit einer stinkenden Zigarre, dachte Myers. Er schlich sich lautlos bis zum Sessel und stieß fester, als es nötig gewesen wäre, den Lauf des Revolvers gegen den Hinterkopf des Eindringlings.
Der Kopf zuckte kurz nach vorne, dann drehte er sich um. Klare schwarze Augen unter buschigen grauen Augenbrauen richteten sich auf Myers. Der Mann fasste sich mit der Linken an die Stelle, wo Myers’ Revolver einen schmerzenden roten Fleck hinterlassen hatte. Dann lächelte er: »Guten Abend, Herr Myers, gut, Sie kennen zu lernen.«
Myers ging vorsichtig um den Sessel herum, seine Waffe auf den Fremden gerichtet. Der war eine eher mickrige Erscheinung, abgesehen von dem riesigen Kopf. Unter der Glatze sah Myers eine große, leicht nach unten gekrümmte Nase. Das Gesicht guckte ihn schief an, fortwährend grinsend. Der Mann saß entspannt im Sessel, als wäre er in Myers’ Wohnung zu Hause. Er nahm einen kräftigen Zug aus seiner Zigarre, deren Größe in einem lächerlichen Verhältnis stand zur Physiognomie des Rauchers. »Machen Sie es sich bequem, Herr Myers«, sagte der Mann. Ein Jude, dachte Myers. Erst nervte ihn ein Italiener, dann ein Deutscher, jetzt ein Jude. Ein Jude mit deutschem Akzent.
Myers straffte seinen rechten Arm, richtete den Revolver auf die Stirn des Manns: »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
»Oh, selbstverständlich, Herr Myers, verzeihen Sie bitte die Unhöflichkeit. Sie werden gleich verstehen, warum ich Sie besuchen musste. Nennen Sie mich Carl Smith.«
Natürlich, dachte Myers, ich dürfte ihn auch Michelangelo nennen.
Der kleine Mann nickte. »Ich kann Ihren Unmut verstehen. Ich hätte auch nicht gerne unangemeldeten Besuch. Aber manchmal lassen sich Unannehmlichkeiten nicht vermeiden.« Der kleine Mann nickte betrübt.
»Kommen Sie zur Sache!«, sagte Myers. Der Revolver wurde schwer in der Hand.
»Ixtab«, erwiderte der Mann.
Myers schüttelte es leicht, der Mann kannte das Kodewort. »Wir hatten vereinbart, Sie würden nie an mich herantreten«, schrie er.
»Seien Sie leise, Herr Myers, so dick sind die Wände hier nicht«, sagte der kleine Mann.
»Was wollen Sie?«, fragte Myers leiser. Dann: »Hauen Sie ab!«
»Es handelt sich um einen Notfall, ich bitte um Verständnis«, sagte der kleine Mann freundlich. »Wir werden Sie nie wieder zu Hause behelligen. Ich verspreche es.«
Myers schwieg. Er
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