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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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fällt umsonst oder nur dafür, dass der Irre ein bisschen länger lebt. Es gibt nur zwei Dinge, die sicher sind. Erstens, Hitler wird den Krieg nicht überleben, also muss er ihn verlängern, weil der elende Feigling an seinem elenden Leben stärker hängt als an dem seiner Soldaten. Und wenn der Krieg vorbei ist, ist Stalin der Herr über Europa. Dafür kann er sich dann beim toten Führer bedanken.«
    »Also Frieden sofort«, sagte Werdin, »Frieden mit Stalin, auch wenn es teuer wird?«
    »Stalin hat gesagt, dass die Hitlers kommen und gehen, das deutsche Volk aber bleibt. Die Russen haben trotz allem, was wir ihnen angetan haben, einen Heidenrespekt vor uns. Die Deutschen haben den Affen erfunden, sagen sie. Wenn wir jetzt Frieden machen, dann bleibt was von Deutschland übrig. Wenn nicht, fallen die Russen über uns her wie die Vandalen.«
    »Wie soll man Frieden mit den Russen machen ohne bedingungslose Kapitulation?«
    »Einen Frieden ohne Risiko gibt’s nicht mehr. Aber glauben Sie, Stalin verzichtet auf einen Separatfrieden, der sich lohnt? Für den sind Amis und Tommies doch nur nützliche Idioten.«
    »Das sagt Goebbels auch immer«, sagte Werdin.
    »Sie brauchen nicht sarkastisch zu werden«, flüsterte Rettheim, »wo der Klumpfuß Recht hat, hat er Recht. Der ist ja ein Seelenverwandter Stalins. Bringen Sie mich zum Klo, ich muss pissen.« Er hob den Oberkörper an, Werdin packte ihn an der linken Schulter und zog ihn aus dem Bett. Er war überrascht von Rettheims Gewicht und ließ ihn fast auf den Boden fallen. Gemeinsam wankten sie zum Bad, auf dem Boden lag der abgeschnittene Bademantelgürtel. Werdin steuerte Rettheim vor die Kloschüssel, öffnete seine Hose, zog das Glied hervor und sagte: »Pinkeln können Sie hoffentlich allein.« Er konnte es, wenn er sich auch die Hose bekleckerte.
    Zurück auf dem Bett, wurde Rettheim allmählich lebhaft. »Sie müssen mich doch jetzt gleich vors Erschießungskommando schleppen«, sagte er. »Wär auch gar nicht schlecht, für eine neue Operation Strick fehlt mir zurzeit der Mut.«
    »Haben Sie keine Familie, niemanden, der sich um Sie kümmert?«, fragte Werdin.
    »Die habe ich meinem Führer geopfert.« Rettheim lachte trocken.
    »Erinnern Sie sich noch an die ersten Bombenangriffe auf Berlin, 1940, als wir noch so toll siegten? Da haben die Engländer ein paar alte Wellingtons geschickt, um zu zeigen, dass es sie noch gibt. Sie haben die Eckertstraße in Friedrichshain zerstört, und eine Bombe hat meine Familie vor dem ganzen weiteren Elend bewahrt, meine Frau, meine Tochter, meine Mutter. Goebbels hat getönt, die Straße würde wieder aufgebaut, und er hat nicht einmal gelogen. Die Häuser stehen wieder, aber meine Leute konnte nicht einmal der Führer zum Leben erwecken. Mein Vater ist lange tot. Irgendwo gibt’s noch einen Onkel, den Bruder meines Vaters, aber der ist dumm und Vollnazi oder Vollnazi, weil er dumm ist.«
    Werdin hatte seinen Ekel längst überwunden, der Major faszinierte ihn. Er entschloss sich, Rettheim einen Teil der Wahrheit zu sagen. Er war sich sicher, der Major würde ihn nicht verraten. Mit Erpressung erreichte er nichts, das wusste er nun. Erpressung wäre ihm auch zuwider gewesen. Werdin zweifelte, ob er überhaupt noch in der Lage war, Rettheim glaubwürdig unter Druck zu setzen. Da schneidest du einen vom Lampenhaken ab, und schon fühlst du dich wie sein Schutzengel, dachte er. Es war idiotisch, aber wahr. Wenn überhaupt etwas ging, dann mit Vertrauen. Er konnte dem Leben dieses Offiziers eine neue Richtung geben, einen Sinn, und Werdin hoffte, Rettheim würde die Gelegenheit ergreifen. Es war besser, als sich jeden Abend zu besaufen. Es war eine Aufgabe, die schwieriger war und mehr Verantwortung verlangte, als ein Panzerbataillon in die Schlacht zu führen.
    »Ich bin hergekommen, um dich zu erpressen«, sagte Werdin nach einigem Zögern, ihm wollte eine vernünftige Einleitung nicht einfallen. Er fand es normal, dass er Rettheim duzte.
    »Arschloch«, sagte Rettheim.
    »Die Sache ist ein bisschen komplizierter. Ich arbeite beim SD. Das ist wahr. Genauso wahr ist, dass ich das Gleiche will wie du. In der SS gibt es nicht nur Massenmörder. Viele Kameraden im SD wollen so schnell Schluss machen wie möglich. Man hat sogar gehört, dass Himmler selbst Kontakt zu Widerstandskreisen sucht. Wenn es zum Staatsstreich kommt, ist die SS mit dabei. Es gibt nur einen, der diesen Krieg bis zur Selbstvernichtung Deutschlands

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