Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
Bendlerblock ist die Zentrale.« So war es kein Wunder, dass Rettheim mit Hilfe von Werdins Informationen gegenüber den richtigen Offizieren oppositionellen Geist in vorsichtiger Dosierung offenbarte. Ein verkrüppelter Panzermajor, der ziemlich offen am Endsieg zweifelte, erregte bei Hitler-Gegnern keinen Verdacht. Bald war Rettheim eingeführt in den Kreis der Verschwörer um den ehemaligen Generalstabschef des Heeres, Ludwig Beck.
    Rettheims Berichte waren genau und nüchtern. Der Major hatte einen klaren und schnellen Verstand. Bald zeigte sich Werdin das Bild der Strömungen im Widerstand. Da waren auf der einen Seite jene um Beck und den aktivistischen Oberst Graf von Stauffenberg, die ein Attentat auf Hitler planten. Andere wie der ehemalige Leipziger Bürgermeister Carl Friedrich Goerdeler, die dem deutschnationalen Lager angehörten, wollten Hitler überzeugen abzutreten. Dritte wiederum, wie der so genannte Kreisauer Kreis, lehnten aus ethischen und religiösen Gründen den Tyrannenmord ab.
    Werdin notierte mit, während Rettheim berichtete. Er begriff, dass es keine klar gegliederte Oppositionsgruppe gab, sondern die Zusammenarbeit von Leuten, die häufig gegensätzlicher Meinung waren. Goerdeler verlegte sich darauf, im Ausland Kontakte zu knüpfen, sprach sich gegen ein Attentat auf Hitler aus, war aber bereit, sich zum Reichskanzler ernennen zu lassen, sobald Hitler getötet war. Beck hatte sich zu der Einsicht durchgerungen, es gebe ohne Hitlers Tod keinen Erfolg des Staatsstreichs und keinen Frieden. Goerdeler und andere wie der ehemalige preußische Finanzminister Johannes Popitz wollten nach Hitlers Ende im Westen Frieden machen und im Osten weiterkämpfen. Sie fürchteten die Russen nicht weniger als Hitler.
    Goerdeler schrieb Denkschrift um Denkschrift und verschickte sie an Persönlichkeiten in England und Amerika. Er wollte nicht begreifen, dass Amerikaner wie Engländer nicht daran dachten, den sowjetischen Bündnispartner auszutricksen. Die Alliierten forderten unbeirrt die bedingungslose Kapitulation Deutschlands. Es hatte zu viel Tote und zu viel Leid gegeben für einen Verständigungsfrieden, vor allem im Osten. Werdin wollte erst nicht glauben, was Rettheim über die Führer des Widerstands berichtete. Es erschütterte ihn, feststellen zu müssen, dass über Deutschlands Schicksal entweder Hitler entschied oder eine Gruppe von Naivlingen, die nicht sehen wollte, was jedermann unverhüllt vor Augen lag. Die Blutorgie der Deutschen in Polen und in der Sowjetunion hatte das Dritte Reich aus der Reihe der zivilisierten Völker ausgestoßen.
    Rettheim war trotz allem guter Dinge. Er berichtete von Stauffenberg, der dem Kreis der Verschwörer wieder Mut gegeben habe. Das sei ein faszinierender, mitreißender, durchsetzungsfähiger Mann, dem die Debattiererei zum Hals heraushänge. »Wenn einer das Unmögliche schafft, dann Stauffenberg.«
    An einem warmen Frühsommernachmittag machte sich Werdin wieder einmal auf den Weg nach Lichtenberg. Rettheim empfing ihn aufgeregt, als hätte er lange auf ihn warten müssen. »Es geht los«, sagte er, bevor Werdin sich im Wohnzimmer gesetzt hatte. »In drei oder vier Wochen startet das Unternehmen. Stauffenberg und Freunde haben die Operation Walküre ein wenig umgedichtet ...«
    »Was ist das, die Operation Walküre ?«
    »Das ist ein Plan, um Aufstände von Fremdarbeitern niederzuschlagen. Wenn Stauffenberg Hitler umgebracht hat, setzen die Verschwörer die Operation Walküre in Kraft. Das heißt, sie benutzen ahnungslose Wehrmachtstellen zur Machtergreifung. Sie tun so, als wollten sie einen Aufstand gegen die Regierung nach dem Attentat auf Hitler niederschlagen. So wollen sie auch deine Gestapofreunde ausschalten.«
    Rettheim grinste. »Ob das mit der SS so klappt, wie du dir das vorstellst ...«
    Werdin dachte, wenn du eine Ahnung davon hättest, was ich mir vorstelle, und sagte ruhig lächelnd: »Lass die tapferen Soldaten ein paar Gestapoleute festsetzen, das schadet denen nicht. Wir sind stark genug.«
    An diesem Abend hatte Werdin es eilig. Er fuhr nicht direkt nach Hause, als er Rettheim verließ. Er nahm die S-Bahn Richtung Ostkreuz, stieg um in die U-Bahn Richtung Papestraße, dort erwischte er ohne Wartezeit den Anschluss nach Lichterfelde Ost. Der Zug war voll, es war die Pause zwischen dem Tag-und dem Nachtangriff. Viele Frauen, die von der Tagesschicht kamen, ein paar Soldaten, alte Männer mit Aktentaschen, die vor allem dazu dienten, mit

Weitere Kostenlose Bücher