Der 21. Juli
hatte, dass ihr Verlobter im Kaukasus gefallen war. Er diktierte eine lange Aktennotiz an den Reichsführer-SS. Er schilderte die unglaubliche Lage, dass sich kommunistische Spione in Berlin tummelten, »ohne dass wir auch nur die grundlegendsten Mittel hätten, dies zu unterbinden. So wird nachträglich der große Erfolg gegen die Rote Kapelle überflüssig gemacht. Es würde uns helfen, wenn wir die Funkpeilwagen des Reichsluftfahrtministeriums ausleihen könnten. Ich schlage daher vor, die Funkpeilwagen zeitlich befristet dem Reichssicherheitshauptamt zu unterstellen. Wenn Sie, Reichsführer, den Reichsmarschall darum bitten, bin ich sicher, dass wir bald Erfolg haben werden.«
Er kippelte auf seinem Stuhl und diktierte noch einen Satz: »Im schlimmsten Fall sollte ein Vortrag beim Führer helfen.« Er zögerte, dann wies er seine Sekretärin an, den Satz wieder zu streichen. Er hatte erst vor ein paar Wochen einen Rüffel von Müller gekriegt, weil er zu vorwitzig sei. Wenn nun ein Anschiss vom Reichsführer dazukam, nein, das musste nicht sein. Krause war ungeduldig. Es konnte Monate dauern, bis sie die Funkpeilwagen erhielten. Und in diesen Monaten mussten sie nach einem Knollennäsigen mit dem originellen Decknamen Fritz fahnden, der munter seine Funksprüche nach Moskau absetzte. Die womöglich von einem Verräter im Sicherheitsdienst stammten.
Als seine Sekretärin gegangen war, griff Krause zum Telefon und wählte eine interne Verbindung: »Die Weißgerber und ihr Kind werden nach Ravensbrück eingewiesen. Sie sind mir dafür verantwortlich, dass beiden nichts passiert. Sie erhält Schreibverbot. Der Mann bleibt in der Prinz-Albrecht-Straße. Die Nachbarzellen werden geräumt. Sie müssen um jeden Preis verhindern, dass Weißgerber Kassiber verschicken kann. Gebt ihm was Vernünftiges zu essen und lasst ihn in Ruhe. Plötzensee hat Geduld.«
Krause beschloss, den Abend im Puff zu verbringen. Er fühlte sich gut. Wenn es einen Verräter gab, sie würden ihn kriegen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es Himmler gelang, Göring die Funkpeilwagen unter dem fetten Arsch wegzuziehen. Dem Reichsführer würde schon ein Köder einfallen.
***
Rettheims Atem wurde gleichmäßig. Die Schlinge hatte seinen Kehlkopf gequetscht, er flüsterte stockend. Sein Blick war klar. »Sie hätten mich hängen lassen sollen. Sich aufzuhängen kostet mehr Mut, als in die Schlacht zu ziehen.«
»Warum?«, fragte Werdin.
»Weil es zu Ende ist.«
»Was ist zu Ende?«
»Alles, Sie Idiot, alles.«
Werdin schüttelte hilflos den Kopf.
Rettheim schaute ihn mitleidig an, als wäre er ein dummer Junge. Aus dem linken Mundwinkel hing ein dünner Speichelfaden. »Der Krieg ist verloren, schon seit der Schlacht vor Moskau. Alles, was danach kam, war unnötig. Millionen überflüssige Opfer. Schauen Sie auf die Karte. Haben Sie gesehen, wie groß Russland ist? Ahnen Sie, wie viele Soldaten Stalin hat? Er kann verheizen, so viele er will, es sind immer noch genug. Sie haben mehr Panzer, viel mehr Panzer, mehr Flugzeuge und mehr Kanonen, und sie haben gelernt zu kämpfen.«
Rettheim richtete sich auf den Ellbogen auf, mit der Hand wischte er sich den Speichel aus dem Gesicht. »Es ist die Hölle da draußen«, sagte er so eindringlich, dass Werdin zurückzuckte. »Das kann sich so einer wie Sie, der den ganzen Tag nur hinterm Schreibtisch hockt, gar nicht vorstellen. Es ist Dreck und Blut und Blut und Dreck. Es ist kalt, nass, matschig, heiß und staubig, und überall wartet der Tod. Unsere sterben wie die Fliegen. Russen, überall Russen, wenn nicht Soldaten, dann Partisanen. Urräh, urräh, urräh! Sie laufen mit aufgepflanzten Bajonetten auf unsere Stellungen zu, wir mähen die erste Welle um, die zweite, die dritte, aber irgendwann kommen sie über einen.«
Rettheim ließ sich erschöpft aufs Kissen zurücksinken. Seine Augen waren nass, er weinte nicht, es waren die Anstrengung und der Zorn.
»Wir sind die größten Mörder aller Zeiten. Wir ermorden die Juden, die Polen, die Russen, die Zigeuner. Haben Sie schon mal an einer Judenerschießung teilgenommen?« Rettheim schaute Werdin verächtlich ins Gesicht. »Die dürfen ein riesiges Massengrab ausheben, dann wird die erste Reihe an den Rand gestellt, dahinter die Helden der SS, die schießen die Juden ins Genick, dann kommt die nächste Reihe dran und so weiter und so weiter. Im Osten hausen wir wie die Hunnen. Hitler ist der Mörder seiner Soldaten. Jeder, der fällt,
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