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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Kriegsmargarine bestrichene Stullen zu befördern. Teilweise wurde die Strecke nur eingleisig geführt, weil Bomben das andere Gleis zerstört hatten. Werdin war es recht, als er deshalb zweimal umsteigen musste, so konnte er unauffällig prüfen, ob ihm jemand folgte. Er sorgte dafür, dass er immer als Letzter in den auf dem Nachbargleis wartenden Zug einstieg und nie in den Wagen direkt gegenüber. Ein Mann mit beigem Mantel und dunkelbraunem Hut kam ihm verdächtig vor, bis dieser im Bahnhof Papestraße nicht mit umstieg.
    Als Werdin in Lichterfelde Ost die S-Bahn verließ, war er überzeugt, dass ihm niemand auf den Fersen war. Er folgte der Wilhelmstraße, bog ein in die Finckensteinallee und passierte die links gelegene Kaserne der Leibstandarte-SS Adolf Hitler, der Elitedivision der WaffenSS. Das Tor ging auf, ein schwerer Lastkraftwagen fuhr hinaus. Er war hinten offen, Werdin erkannte schemenhaft Soldatengesichter, die unter der Plane nach draußen schauten. Frischfleisch für die Front, wohl auf dem Weg zu einer Nachtübung irgendwo außerhalb Berlins. Werdin hörte die eigenen Schritte auf dem nassen Asphalt. Er würde bald da sein, es ging noch in die Carstennstraße hinein, dann hinüber zur Mürwiker Straße, bis er schließlich nahe der Kleingartenkolonie Abendruh vor einem rot geklinkerten zweistöckigen Vierparteienmietshaus in der Elmshorner Straße 23 stand. Die Fenster waren verdunkelt. Nur links von der Haustür, im Erdgeschoss, drang ein feiner Lichtstrahl nach draußen. Beide Nachbarhäuser hatten Bombentreffer erhalten, die Vorderwand des rechten Hauses war zerstört, so dass man in die Wohnungen hineinschauen konnte wie in ein Puppenhaus. Das linke Nachbarhaus hatte gebrannt, und Ruß hatte die Mauern geschwärzt. Aber es war nicht völlig zerstört. Vor dem Haus stand ein Achtzylinder-Sportkabriolett von Horch, das in seiner luxuriösen Maßlosigkeit an bessere Zeiten erinnerte.
    Die Haustür von Nummer 23 war abgeschlossen. Werdin drückte die Klingel mit dem Namen Schmitt. Bald hörte er Schritte auf der Treppe und dann, wie der Schlüssel herumgedreht wurde. Werdin konnte im dunklen Hausflur kaum etwas erkennen. »Komm rein«, sagte der Mann in der Tür. Schwer atmend stieg er die ächzende Holztreppe hoch, Werdin folgte ihm. Die Wohnungstür im ersten Stock stand einen Spalt offen, so dass gedämpftes Licht ins Treppenhaus fiel. Der Mann führte Werdin in die Wohnung und schloss hinter ihm die Tür. Er drehte den Schlüssel zweimal herum. Werdin kannte die Wohnung und setzte sich in die Küche: billige Möbel, ein angelaufener Kohleherd, im Becken warteten schmutziges Geschirr und Besteck auf den Abwasch.
    »Gut, dass du kommst«, sagte der Mann. »Unser Herr Direktor ist schon ungeduldig.«
    Werdin lächelte über die flapsige Wortwahl des Manns mit der Knollennase. Er hatte wulstige Lippen und das spärliche Haar mit Pomade an die Kopfhaut geklebt. Die Hemdsärmel waren aufgekrempelt, das Hemd hing über dem gewaltigen Gesäß aus der Hose heraus.
    Die Fingernägel trugen schwarze Ränder, die Kleidung war fleckig. Ein Außenstehender hätte diese Erscheinung als Zeichen von Verwahrlosung verstanden. Aber nichts war falscher als das. Werdin hatte sich längst an den trostlosen Anblick gewöhnt. Fritz war einer der gerissensten Funker, die jemals für den Staatssicherheitsdienst der Sowjetunion gearbeitet hatten. Er machte nicht viel Aufhebens daraus, aber im Gegensatz zu den Genossen der Roten Kapelle war er den Häschern immer entkommen.
    »Wir haben offenbar einen neuen Leiter in Moskau, wahnsinnig ehrgeizig. Der will den Krieg allein gewinnen«, sagte Fritz.
    »Vielleicht einer von denen, die beleidigt sind, dass sie nicht zum Deutschen-Totschießen an die Front dürfen. Das ist ja inzwischen ein bisschen leichter geworden«, erwiderte Werdin.
    Fritz schniefte. Er tat dies fortlaufend, aber daran hatte sich Werdin genauso gewöhnt wie an alles andere.
    »Ich glaube, der Genosse in Moskau kann erst schlafen, wenn ich ihm ein paar Sensationen rüberfunken kann. Goebbels als Homo enttarnt, Hitler erklärt den Fidschiinseln den Krieg, die Amis haben Berchtesgaden erobert oder so was. Hast du so was?« Fritz zog grinsend die Knollennase hoch.
    »Was hältst du davon: In zwei Wochen ist der Krieg zu Ende?«
    »So ein Quatsch«, sagte Fritz.
    »Gar kein Quatsch«, sagte Werdin. »Da gibt es ein paar, die wollen den größten Führer aller Zeiten umbringen, Offiziere und ein paar

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