Der 21. Juli
führen will, und das ist der Führer.«
»Unsere Ehre heißt Treue«, deklamierte Rettheim mit Hohn.
»Unsere Treue gilt der Heimat«, sagte Werdin und ärgerte sich über das Pathos. »Es gibt da Leute, die meisten sind Offiziere der Wehrmacht, die wollen Hitler stürzen. Einige wollen den Krieg gegen RUSSLAND weiterführen, möglichst an der Seite der Engländer und Amerikaner. Andere spinnen etwas weniger und haben kapiert, dass wir an allen Fronten Frieden brauchen, zuerst an der Ostfront.«
»Und die Gestapo nimmt die Verschwörer nicht einfach fest und knallt sie ab?«, fragte Rettheim ungläubig.
»Nein, die SS lässt sie machen. Die meisten Verschwörer wollen nichts mit uns zu tun haben, andere dagegen informieren uns. Die Herren Offiziere kapieren nicht, dass sie in der Wehrmacht weniger Verbündete haben als in der SS. Wer gegen Hitler und die SS putschen will, muss verrückt sein. Wer mit der SS gegen Hitler putscht, kann gewinnen. Das Volk wird nicht auf die Straße gehen, das bewundert seinen Führer wie den lieben Gott. Die Machtfaktoren sind die Partei, die Wehrmacht, die SS. Den Rest kannst du vergessen. Die Wehrmacht ist Hitler-treu, abgesehen mal von einigen hellsichtigeren Feiglingen, die nichts zu Stande bringen. Die SS steht wie ein Mann hinter Himmler, das sind zusammen mit der WaffenSS fast eine Million Mann, diszipliniert, gut ausgebildet und modern bewaffnet. Die SS ist der einzige geschlossene Machtblock im Dritten Reich.«
»Bei euch glaubt also keiner mehr an Hitler!« Rettheim lachte.
»Dann ist es wirklich vorbei mit den herrlichen braunen Zeiten.« Seine Stimme klang höhnisch und amüsiert.
»So nicht«, sagte Werdin, »aber der Reichsführer findet einen Weg, wenn Hitler tot ist. Darauf kommt es an.«
»O Gott, der kleine SS-Mann, voller Glauben an seinen tollen Reichsführer, den Herrn der Massenmörder in Schulmeistergestalt!«
»Ohne SS kein Erfolg beim Putsch, ohne Putsch kein Frieden«, sagte Werdin. Das Gespräch strengte ihn an. Rettheim hatte Recht und Unrecht zugleich. Ja, die SS war eine Mörderbande, die Einsatzgruppen hatten hinter den Fronten ein Blutbad angerichtet. Und in den Konzentrationslagern standen die Krematorien nicht still. Im Osten sollte es richtig gehende Vernichtungslager geben, das hatte Werdin munkeln hören. Offen geredet wurde darüber nicht, es galt Himmlers Devise, jeder dürfe nur so viel wissen, wie es für seine Arbeit nötig war. Aber es ließ sich nicht alles verheimlichen. Manchem im Sicherheitsdienst war mulmig zu Mute, als er vernahm, dass die Mörderbanden im Osten das Abzeichen des SD am Arm trugen, wenn die Raute auch eingerahmt war.
Rettheim schaute Werdin lange an: »Ja, ja, ist schon wahr. Die Wehrmacht ist ein Hitler-gläubiger Sauhaufen. Pass auf, du germanischer Held. Ich werde dir mal glauben. Du hast mich vom Haken abgeschnitten, das gibt dir ein gewisses Recht, mein zweites Leben mitzubestimmen. Es ist ja sowieso egal. Du scheinst zu meinen, ich soll noch mal ein Abenteuer erleben, bitte, tu ich’s also.« Er fuhr sich mit der rechten Hand über das Würgemal am Hals, das an einigen Stellen leicht geblutet hatte und nun Schorf bildete. Aber die Stimme wurde kräftiger, und seine Enttäuschung über die Rettung wich einer verblüffenden Unternehmungslust. Es ist wie die Wiedererweckung eines Toten, dachte Werdin.
Er setzte sich auf die Bettkante und beugte sich zu Rettheim vor: »Du musst mir glauben, Rettheim. Du musst bei den Verschwörern mitmachen und uns über alles informieren, was dort gesprochen wird. Damit wir wissen, wann wir uns einschalten können in den Staatsstreich. Mit uns reden nur einige der Herren des Umsturzes, und dafür haben diese Herren von den anderen Herren Verschwörern ordentlich Dresche gekriegt. Die feinen Pinkel werden sich wundern, wie heftig ihnen eines Tages die SS ans Herz wachsen wird.«
Werdin besuchte seinen neuen V-Mann fast jeden Tag. Rettheim erholte sich, schon ein paar Tage nach Beginn seines zweiten Lebens bemühte er sich mit erstaunlicher Hartnäckigkeit, zum Kreis der Verschwörer zu stoßen. Werdin hatte immer wieder gestaunt, wie leichtsinnig die Umstürzler waren, die Namen Beck, Popitz, Goerdeler hatte Schellenberg zuletzt bei einer dienstlichen Besprechung so nebenbei genannt. »Der Reichsführer weiß mehr als wir, der Nachrichtendienst«, hatte
Schellenberg gesagt. »Er kennt sogar die Herren, die dem Führer ans Leder wollen, die meisten sind Offiziere. Im
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