Der 21. Juli
Zivilisten.«
»Na, und dann?«, fragte Fritz. »Dann kommt der nicht weniger tolle Herr Meier alias Göring.«
»Nein«, sagte Werdin, »dann kommt mein noch tollerer Reichsführer.«
»Die SS übernimmt die Macht?«
»Kaum offen, eher verdeckt. Aber vielleicht ist alles nur Hokuspokus, die Herren Verschwörer sind nämlich mal wieder in tiefste Depressionen verfallen, ob man denn Herrn Hitler töten darf oder nicht. Dieselben Offiziere, die, ohne zu zögern, ihre Soldaten in den Tod schicken, fragen sich, ob man dem größten Verbrecher aller Zeiten ein Härchen krümmen darf. Man nennt das in diesen Kreisen Eidtreue.«
Fritz schüttelte seinen runden Schädel, lachte und schniefte. »Die sind verrückt«, sagte er. »Völlig verrückt! Da fragt man sich wirklich, wer die Irren sind, die Braunen oder die Preußen.«
»Die braunen Preußen«, sagte Werdin. »Die haben jeden Sieg bejubelt, und jetzt, wo es nichts zu feiern gibt, scheißen sie sich in die Hose. Die können nicht mal anständig verlieren. Wenn’s dazu führt, dass ein paar Offiziere Adolf wegpusten, soll es uns recht sein. Ob es am Kriegsverlauf was ändert, wer weiß? Man hört ja überall munkeln, dass einige Herren Marschälle den Krieg ihres obersten Befehlshabers nur deshalb nicht gewinnen, weil der oberste Befehlshaber Hitler heißt.«
»Gut«, sagte Fritz. »Du meinst das ernst mit dem HitlerAttentat?«
Er guckte Werdin skeptisch an. »Offiziere befördern den großen Feldherrn ins Jenseits, ich kann es nicht glauben.« Fritz schniefte. »Und das sollen die in Moskau uns abkaufen?«
»Das werden sie müssen, wenn sie nicht noch einmal so böse überrumpelt werden wollen wie 41.«
Fritz nahm Werdin mit ins Wohnzimmer, an einer Wand hing ein Hitler-Bild. »In einer Viertelstunde ist Moskau ganz Ohr und hört brav zu, was ich den hohen Genossen melde«, sagte Fritz. Er schob vorsichtig eine Biedermeierkommode von der Wand; ihre Beine standen auf Filzplättchen, so dass das Verschieben kaum zu hören war. Die Kommode war an der Rückseite ausgehöhlt, die Schubladen nur Attrappen. Dahinter verbarg sich Fritz’ russisches Funkgerät. Er hatte es von einem der wenigen Fallschirmagenten bekommen, die nicht gleich gefasst worden waren. Das Funkgerät stand auf einer mehrfach gefalteten Decke, an ihr zog Fritz es heraus. Er forderte Werdin auf, es an einem der beiden Laschengriffen zu packen, und gemeinsam hoben sie das schwere Gerät auf den Wohnzimmertisch. Fritz öffnete das Fenster und verband das Funkgerät mit einer außen angebrachten Antenne, die als Wäscheleine getarnt war. Er schloss das Fenster, ohne das Kabel abzuklemmen; er hatte eine kleine Aussparung in den Fensterrahmen gebohrt, durch die er das Antennenkabel führte. Werdin war immer wieder verblüfft, wenn er entdeckte, mit welcher Raffinesse Fritz sich und sein Funkgerät vor den Verfolgern versteckte. Ihm genügten die einfachsten Mittel, um sich perfekt zu tarnen.
Werdin setzte sich an den Wohnzimmertisch und schrieb mit schneller Hand seinen Bericht an Moskau. Er hatte es gelernt, sich kurz zu fassen, und so wurde aus einer großen Geschichte ein kleiner Funkspruch. Würden sie länger funken, würden ihnen die Peilwagen leichter auf die Schliche kommen.
Fritz griff ein Exemplar von Hitlers Mein Kampf, das neben anderer brauner Lektüre hinter dem Glas der Wohnzimmervitrine stand. Er schlug eine bestimmte Seite auf und begann Werdins Text zu verschlüsseln. Er pfiff leise, als er den Spruch las. »Da wird der Genosse Direktor ja schön blöd gucken«, sagte er. Dann setzte er sich ans Funkgerät, schaltete es ein, wählte die Frequenz und ließ seine Hand auf dem Morsetaster wippen. Die Verbindung zum Direktor war gleich hergestellt. Fritz war rasend schnell und lieferte der Gegenseite doch saubere Signale. Es dauerte kaum zwei Minuten, bis Werdins Meldung in Moskau war.
Danach verstauten sie das Gerät wieder hinter der Kommode. Fritz holte aus der Küche zwei Flaschen Dünnbier, sie machten sich es im Wohnzimmer gemütlich.
»Wie geht’s Paul?«, fragte Werdin nach einer Weile des Schweigens.
Fritz zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich habe lange nichts mehr von ihm gehört. Kann sein, dass er mich meidet, weil er fürchtet, dass ich früher oder später hochgehe. Kann sein, dass ihn die Gestapo gegriffen hat. Eigentlich dürfen wir zwei gar nicht darüber sprechen. Schon mal was von Konspiration gehört?« Fritz schniefte und grinste.
»Hast Recht«,
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