Der 21. Juli
durfte ich ein bisschen früher gehen. Hast du denn was Vernünftiges gelernt, oder habt ihr den ganzen Tag nur mit den Jungs geschäkert?«
»Ich und Jungs, die interessieren mich doch nicht.« Irma lachte und wurde ein bisschen rot. »Nein, wir haben halb Mecklenburg umgegraben und dafür gesorgt, dass ihr in der Stadt nicht verhungert. Du hast also allen Grund, mir dankbar zu sein.«
Gustav verbeugte sich leicht. »Wurde ja auch mal Zeit, dass du was für Volk und Vaterland tust.«
Es wurde eine lustige Kaffeetafel, fast so wie früher. Sie verdrängten ihre Ängste und taten so, als wäre der Krieg weit weg. Es war ein herrlicher Frühsommer, warm und mild, bald würden die Kirschen reifen, und das Gemüse aus dem Garten würde die Mahlzeiten bereichern. Sie schwelgten in der Vergangenheit, Schule, Konfirmation, Irmas aufregende Jahre im Bund Deutscher Mädel. Vater holte eine Flasche Sekt aus dem Keller, und sie tranken sich zu, bis Irma leicht benebelt war.
Am Abend meldete sich durch den auf-und abschwellenden Klang der Sirenen der Krieg zurück. Im Keller warteten sie schweigend das Ende des Angriffs ab, der diesmal anderen Stadtteilen galt. Weit weg ertönten die Explosionen der Bomben und Minen, sie ahnten, welche Urgewalt vom Himmel fiel. In dieser Nacht schlief Irma schlecht ein. Sie dachte an Zacher und lächelte, dann fielen ihr Slotek und Edith ein, und sie musste weinen.
Sie wachte nach neun Uhr am nächsten Morgen auf. Sie wusch sich, zog frische Kleidung an und ging nach unten. In der Küche hantierte ihre Mutter. »Das Frühstück wartet schon auf dich, du Langschläferin«, sagte sie freundlich. »Heute Morgen sind die Amerikaner und Engländer in Frankreich gelandet. Es kam im Radio.«
Irma freute sich, als sie sah, dass die Mutter ihr ein Frühstücksei gekocht hatte. Sie ging zum Volksempfänger und stellte ihn an. Fanfaren erklangen, dann die Meldung, endlich sei die Invasion erfolgt, die Wehrmacht werde die Feinde ins Meer zurücktreiben. Amerikaner und Engländer hätten hohe Verluste erlitten. »Endlich siegen wir wieder«, sagte Irma spöttisch und stellte den Apparat wieder aus. »Ich kann diese Fanfaren nicht mehr hören.«
Am Nachmittag beschlossen Irma und Margarete, in die Innenstadt zu fahren. Sie wollten Unter den Linden und in der Friedrichstraße bummeln gehen.
Vom einstigen Glanz war nicht viel übrig, viele Häuser zerstört, müde Menschen, viele Uniformen. Sie gingen zum Café Kranzler. Als sie die Eingangstür erreicht hatten, öffnete sich diese, eine junge Frau mit ungesund blassem Gesicht verließ mit zwei Mädchen das Café. Sie hatten offenbar nah beim Eingang gesessen, jedenfalls war dort ein Tisch frei. Irma ließ den Blick im Café schweifen, es war voll und verraucht. Margarete und Irma setzten sich an den freien Tisch. Rechts von ihnen saß ein SS-Mann in einer feldgrauen Uniform und las die B. Z. Sie sahen von ihm nur seine blonden Haare. Zu ihrer Linken widmete sich ein älteres Ehepaar zwei kärglichen Kuchenstücken. Ein hinkender Ober in feinem Zwirn baute sich vor Irma und Margarete auf, sie bestellten Sandkuchen und Ersatzkaffee.
Irmas Blicke blieben an dem SS-Mann hängen. Er hatte die Zeitung auf den Tisch gelegt. Ihre Blicke trafen sich, sie sah das Erstaunen in seinen Augen und dann ein strahlendes Lächeln. Das Gesicht passte nicht zur bedrohlichen Uniform. Das Lächeln steckte sie an, sie lächelte zurück, es war ihr sofort peinlich. Irma sah hinüber zu dem Ehepaar. Die Frau trug trotz der Hitze eine schwarze Pelzmütze mit einer Perle an der Vorderseite. Dazu ein elegantes braunes Kostüm, Schneiderware aus der Vorkriegszeit. Er war nicht weniger elegant gekleidet, Nadelstreifenanzug, goldene Krawattennadel, teure Schuhe. Die beiden steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Manchmal blickten sie zur Tür, als erwarteten sie jemanden.
Der Ober kämpfte sich durch das Gedränge und brachte Kaffee und Kuchen. Er strahlte dabei eine Würde aus, die an glückliche Zeiten erinnerte. Aber die lagen unendlich weit zurück. Erstaunlicherweise schmeckte der Kuchen, an den Ersatzkaffee hatte man sich gewöhnt. Irma sah, wie Margarete den Trubel genoss. Wie viele andere Leute auch, denen die Bomben das Leben verdarben, gingen ihre Eltern nicht mehr aus.
Margarete wusste von sich nichts zu erzählen, sie berichtete von Gustavs Sorgen. Seit sie immer mehr Fremdarbeiter einsetzten, stieg der Ausschuss. Das war kein Wunder, man durfte an gequälte und
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