Der 21. Juli
nicht, dass Sie mit so einer Räuberpistole durchkommen. Drückeberger! Feigling! Unsere Soldaten verbluten an der Front, und Sie treiben sich hier herum! Sie müssen Ihren Ausweis immer mit sich führen, das ist Gesetz. Abführen!« Sie hatten einen jungen Mann erwischt, der bei einer jungen Frau saß. Sie hatte ein rundes Gesicht unter struppigen, schmutzigblonden Haaren, schmale Lippen, die nicht in ihr Gesicht passen wollten, und trug einen grob gestrickten Pullover. Ein brandenburgisches Bauernmädel, dachte Irma. Er passte nicht zu ihr, er war modisch gekleidet, Pomade im weißblonden Haar. Er meckerte, als ihn der Schlägertyp grob am Oberarm packte und zum Eingang zerrte.
»Halten Sie den Mund!«, herrschte der Ledermantel seinen Gefangenen an. »Lassen Sie mich los!«, schrie dieser. Der Gestapomann ließ sein Opfer kurz los, holte mit der Rechten weit aus und schlug dem Jungen mit aller Kraft ins Gesicht. Es knackte hell, als das Nasenbein brach. Blut strömte über das Gesicht, das blaue Jackett und das weiße Hemd färbten sich rot, der Junge fiel auf die Knie und wimmerte. Der Gestapomann nahm ihn am Kragen und schleifte ihn zur Tür. Das Bauernmädchen war erstarrt und gab keinen Ton von sich. Ihr Ausweis lag auf dem Tisch. Der Dürre nahm ihn, betrachtete ihn kurz und warf ihn achtlos auf den Tisch zurück. Inzwischen hatte der Schläger den Jungen bei den Polizisten am Eingang abgeliefert und kehrte ruhigen Schritts zu seinem Kollegen zurück.
Am Nachbartisch von Irma saß eine Mutter mit ihrer sechsoder siebenjährigen Tochter. Die Kleine weinte leise und schaute vor Angst auf den Boden, als würde die Gefahr verschwinden, wenn man ihre Verursacher nicht ansah. Mit zitternder Hand hielt die Frau dem Dürren ihren Ausweis hin. Der musterte ihn gut zehn Sekunden und gab ihn dann zurück. »Wo ist denn der Papa?«, fragte der Schlägertyp und strich dem Mädchen übers Haar.
»In Russland«, antwortete die Frau.
Der Schlägertyp drückte dem Mädchen die Schulter und sagte: »Gut so. Während dein Papa deine Mama vor den Bolschewisten schützt, gibt es immer noch Schmarotzer, die sich in diesen Zeiten ein schönes Leben machen auf Kosten unserer Soldaten.« Er tätschelte dem Kind noch einmal plump den Kopf und kam dann an Irmas Tisch.
Der SS-Mann stand auf und sagte mit militärischem Klang: »Sturmbannführer Knut Werdin, Sicherheitsdienst. Die beiden Damen sind in meiner Begleitung.«
Der Dürre sagte: »Bitte Ihren Dienstausweis, Sturmbannführer!«
Werdin gab dem Mann seinen Ausweis, der schaute kurz hinein, führte seinen Finger an die Hutkrempe und sagte trocken mit einem Blick auf Irma: »Einen schönen Tag noch.« Werdin nickte und setzte sich wieder. Die Ledermäntel und ihre uniformierten Helfer zogen ab.
Margarete saß leichenblass mit gekrümmtem Rücken auf dem Stuhl, ihre Hände zitterten. »Ist gut, Mutter«, sagte Irma mit fester Stimme. Auch sie war bleich im Gesicht. »Es ist nichts passiert.« Sie wandte sich an Werdin und sagte: »Danke.« Sie zögerte einen Moment, dann fragte sie: »Warum?«
***
Am Morgen dieses Tages hatte Werdin sich nicht zum Dienst begeben. Stattdessen besuchte er Rettheim in Lichtenberg. Normalerweise suchte er den Major erst nach Dienstschluss auf. Fritz hatte ihm am Abend zuvor aber gesagt, Moskau dränge auf Nachrichten, der Direktor wolle so schnell wie möglich den Tag des Attentats erfahren, Werdin sollte seinen V-Mann umgehend noch einmal befragen. Werdin rief den Wachhabenden beim SD an und meldete sich für diesen Tag ab, er habe auswärts zu tun. Wenn ihn jemand fragen sollte, würde er angeben, er habe sich mit einem V-Mann aus Frankreich treffen müssen. Den V-Mann gab es zwar, aber der war längst wieder nach Cherbourg an die Kanalküste zurückgekehrt. Der »Kardinal« war ein Elsässer, der in die Reichsmarine eingezogen worden war. Er diente als Maat auf einem
Schnellboot. Sein Bericht über die Stimmung unter den Franzosen war eindeutig. Selbst die eifrigsten Kollaborateure setzten auf einen Sieg der Alliierten und frisierten die eigenen Biografien auf Widerstand um. Die Resistance verübte Anschlag auf Anschlag, und der Himmel gehörte den alliierten Fliegern. Die stürzten sich auf alles, was sich am Boden bewegte. Werdin hatte nach dem Gespräch mit dem »Kardinal« einen langen Bericht geschrieben, aber der wartete in einer Schreibtischschublade darauf, an Schellenberg weitergeleitet zu werden. Morgen Nachmittag war der
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