Der 21. Juli
entkräftete Menschen nicht die gleichen Maßstäbe anlegen wie an gut genährte deutsche Arbeiter. Auch kam es zu Sabotage. Einige Male schon war die Gestapo in der Fabrik aufgetaucht, sie hatte sogar einen deutschen Angestellten verhaftet, er war früher wohl bei den Kommunisten gewesen, am nächsten Tag war er erstaunlicherweise wieder da, mit ein paar blauen Flecken im Gesicht.
»Die Menschen haben Angst«, sagte Margarete. »Am meisten Angst haben sie vor den Russen. Wenn die nach Deutschland kommen, dann ist alles zu Ende.«
»Sie kommen nicht«, erwiderte Irma.
»Warum, die Front rückt immer näher? Und was Klaus schreibt, klingt auch nicht gut.«
»Weil wir bald neue Waffen haben.«
»Du fällst doch nicht auf das Geschrei von Goebbels herein«, sagte Margarete leise.
»Ich habe das von einem gehört, der selbst daran mitarbeitet, an neuen Flugzeugen«, erwiderte Irma trotzig. Sie war ein wenig beleidigt, dass ihre Mutter sie immer noch nicht wie eine Erwachsene behandelte.
»Und wer ist das?«, fragte Margarete.
Irma wurde leicht rot im Gesicht.
Margarete lächelte. »So ist das. Ist er nett?«
Dumme Frage, dachte Irma. »Ja, sehr«, sagte sie. »Aber es ist nicht, was du denkst.«
»Und was denke ich?«, fragte Margarete.
Die Eingangstür sprang laut auf. Drei Männer in Ledermänteln, einige uniformierte Polizisten im Schlepptau, blockierten den Eingang.
»Gestapo«, flüsterte Margarete.
Der kleinste der drei Männer in Leder, Schmisse in einem Gesicht, das nur aus Menschenverachtung zu bestehen schien, rief: »Ausweiskontrolle. Halten Sie Ihre Papiere bereit. Keiner verlässt seinen Platz!«
Seine Stimme klang ölig. Die Polizisten postierten sich am Eingang, der kleine Gestapomann blieb an der Tür stehen, um die Szene im Blick zu behalten. Seine beiden Kollegen, ein langer Dürrer mit einer Hakennase und ein kräftig gebauter Schlägertyp, begannen die Ausweise zu kontrollieren. Als Erstes war das ältere Ehepaar an der Reihe. Als der Dürre ihre Papiere ansah, fing er an zu lachen: »Oh, Vertreter des auserwählten Volkes. Sie wissen, dass es Ihnen untersagt ist, Gaststätten jeder Art zu besuchen!« Die beiden alten Leute saßen schweigend am Tisch und hielten sich an der Hand. Der Schlägertyp befahl ihnen mitzukommen. Schweigend standen sie auf und ließen sich zur Tür führen, wo der Gestapomann sie den Polizisten am Eingang übergab. Irma sah, wie sie über den Bürgersteig zu einem geschlossenen Kastenwagen geführt wurden. Die beiden bewegten sich schleppend.
Die Gestapobeamten arbeiteten sich von Tisch zu Tisch ins Innere des Cafés vor. Irma und Margarete würden zuletzt drankommen, wenn die Kontrolleure ihren Bogen am Eingang schlossen. Irma und Margarete hatten starr zugesehen, wie das ältere Ehepaar abgeführt wurde. Margarete suchte mit zitternden Händen in ihrer Handtasche. »Ich finde meinen Ausweis nicht«, sagte sie leise mit bebender Stimme.
»Bleib ruhig«, flüsterte Irma. »Hast du in den Manteltaschen nachgeguckt?« Margarete schaute sich vorsichtig um, stand auf und ging einen Schritt zur Garderobe.
»He, Sie«, brüllte es von der Tür. »Sitzen bleiben!«
»Ich suche meinen Ausweis«, sagte Margarete mit ängstlicher Stimme. Sie war den Tränen nah.
Keine Antwort von der Tür. Margarete nahm schnell ihren Mantel vom Haken und setzte sich wieder. Sie prüfte die Manteltaschen und zuckte mit den Achseln. Tränen standen in ihren Augen. »Das ist doch nicht so schlimm«, flüsterte Irma. Ihre Stimme zitterte leicht.
»Sie werden mich dafür bestrafen«, erwiderte Margarete.
Die beiden Männer in Leder näherten sich der Eingangstür. Langsam arbeiteten sie sich zu Irma und Margarete vor. Es herrschte Totenstille. Die Gestapoleute musterten schweigend die Ausweise. Am Tresen stand das Personal und beobachtete gebannt das Geschehen.
Laut klirrend fiel eine Flasche auf den Steinboden. Alle zuckten zusammen und schauten zum Tresen.
Auf einmal saß der SS-Mann an Irmas und Margaretes Tisch. Irma erschrak, der Mann schüttelte nur leicht den Kopf und lächelte. Er schaute Margarete in die schreckgeweiteten Augen und legte kurz den Zeigefinger an die Lippen. »Sie sagen nichts. Lassen Sie mich sprechen«, flüsterte er. Irma sah den Mann erstaunt an, dann nickte sie. Wenn er Böses im Sinn haben sollte, hätte er es längst tun können.
Zwei Tische von Irma und Margarete entfernt, begann einer der Gestapoleute zu brüllen. »Sie kommen mit. Sie glauben doch
Weitere Kostenlose Bücher