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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Tanzschritten auf ihn zu und umarmte ihn. »Bald bist du General und Leiter aller unserer Spione.«
    »Kundschafter«, verbesserte Grujewitsch. »Bei uns heißen sie Kundschafter! Spione kommen aus dem faschistischen Deutschland oder aus imperialistischen Staaten.« Er sagte dies mit dozierender Stimme, als stünde er im Hörsaal der Moskauer Militärakademie. Dann lachte er. Manchmal mochte er sich selbst nicht ernst nehmen, das liebte Gawrina besonders an ihm.
    Gesättigt vom Kohleintopf und angeregt vom Wein, berichtete Grujewitsch von seiner neuen Aufgabe. Gawrina hörte mit leuchtenden Augen zu. Für sie kündigte sich ein rascher Aufstieg an, ihr Mann war zu Höherem berufen, selbst der Genosse Berija fragte ihn um Rat und erzählte ihm vom Genossen Stalin.
    Bei allem Stolz, Grujewitsch wusste, er musste vorsichtig sein. Schon zu viele gute Kommunisten waren im GULag gelandet, weil sie aufgefallen waren, wem und warum auch immer.
    »Du darfst nicht überall herumlaufen und erzählen, dass ich bald General werde«, sagte Grujewitsch.
    »Das tue ich doch gar nicht«, erwiderte Gawrina. Es klang schnippisch.
    Grujewitsch glaubte ihr nicht. »Gut«, sagte er, »denn wenn du es tätest, wäre alles bald vorbei. Von einem deutschen Gefangenen habe ich mal das Sprichwort gehört >Hochmut kommt vor dem Falle.«:
    Gawrina schnaubte verächtlich: »Von einem Deutschen! Von einem Faschistenschwein!«
    »Nicht alle Deutschen ...«
    »Sie sind alle Mörder. Sie haben meinen Bruder umgebracht und meine Tante Larissa.«
    »Ich wollte dich doch nur bitten, vorsichtig zu sein.«
    Gawrina grollte. Seine Mahnung hatte sie getroffen. Wie sollte sie ihren Aufstieg genießen, wenn sie ihn geheim halten musste? Lächerlich. Sie hatte sich solche Mühe gegeben, Boris ein Festmahl zu bereiten, das war im Krieg eine Kunst. Statt dankbar zu sein, mäkelte Boris herum. Er hatte Angst, irgendjemand könnte glauben, er hielte sich für was Besonderes. Er war was Besonderes, manchmal war er auch besonders feige. Er würde doch nicht gleich im Lager landen, wenn sie den Nepomows gegenüber erzählte, was für ein toller Kerl ihr Mann war. So jung und bald schon General. Gesprächspartner von Berija!
    Der Abend war versaut. Grujewitsch wusste, es war sinnlos, Gawrina zu besänftigen. Er gähnte demonstrativ: »Ich bin müde, morgen ist ein anstrengender Tag.« Morgen würde ein Tag sein wie jeder andere, hoffte Grujewitsch. Mürrisch begann Gawrina den Tisch abzuräumen. Geschirr und Besteck klapperten und klirrten lauter als sonst beim Abwasch. Grujewitsch ging in den kleinen Schlafraum, zog sich aus und schlüpfte ins Bett. Als Gawrina kam, tat er so, als schliefe er schon. Er dachte an die Verschwörung in Deutschland. Wenn sie klappte, was würde es bedeuten für die Sowjetunion? Den Anfang vom Ende? Vielleicht hatte Michael, der Agent in der SS, Recht, einige Umstürzler wollten gemeinsam mit Amerikanern und Briten gegen die Sowjetunion marschieren. Wenn das geschah, war die Macht der Arbeiterklasse verloren. Sie hatten 1941 fast schon verloren gehabt, auch Grujewitsch hatte nicht mehr an den Sieg geglaubt. Kein anderes Volk der Erde hätte solche Verluste ertragen. Division um Division der Roten Armee war in der großen Fleischmühle zerrieben worden, Millionen gerieten in Gefangenschaft. Unaufhaltsam stürmte die Wehrmacht in die Tiefe des Sowjetreichs. Und dann geschah das Wunder. Der Genosse Stalin und der Genosse Winter stoppten den Vormarsch, vor Moskau verlor die Wehrmacht den Nimbus der Unbesiegbarkeit. Im Jahr 1944 war der Spieß längst umgedreht, die Rote Armee trieb die arischen Helden vor sich her. Es gab immer noch riesige Verluste, aber sie schwächten die Deutschen stärker als die Russen.
    Grujewitsch fühlte ein Streicheln zwischen den Beinen. Er öffnete die Augen halb, das Morgenlicht blendete. Gawrina lag auf der Seite und schaute ihn an, ihre rechte Hand streichelte ihn unter der Decke. Grujewitsch schloss die Augen, genoss es. Er erinnerte sich an den Streit. Er linste mit den Augen zu Gawrina und sah, dass sie nackt war. Er griff nach ihren Brüsten und streichelte sie. Dann ging es zu schnell. Danach lag er unzufrieden neben Gawrina. Es ist ihre Art, sich zu entschuldigen, dachte er. Sie bot sich ihm an. Sie wusste, dass ihr Körper ihn erregte. Er fühlte sich unwohl, es lag nicht nur an den Kopfschmerzen, die der süße Wein ihm bescherte. Erst später sollte er merken, dass sie so den Keim der Verachtung

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