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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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antisowjetischen Kreuzzug, vor dem Lenin und Stalin immer gewarnt haben. Wir haben durch unseren Nichtangriffsvertrag mit Ribbentrop 1939 die Front unserer Feinde gespalten. Was wäre geschehen, wenn der Genosse Stalin die Chance nicht genutzt hätte? Die Deutschen und die Polen und die Briten hätten uns angegriffen. Damals waren wir noch nicht so stark wie heute. Sie erinnern sich, wir hatten feindliche Agenten und Saboteure in der Armee. Erst nachdem wir sie ausgerottet hatten, konnte unsere Rote Armee die stärkste Armee der Welt werden. Das verdanken wir dem Genossen Stalin.«
    Grujewitsch war beeindruckt. Er durfte an den Gedanken der Mächtigen teilhaben. Das Schicksal meinte es gut mit ihm. Der kleine Mann da im Sessel hatte alles im Griff. Kein Wunder, er war der erste Berater des Genossen Stalin.
    Berija stand auf und begann in seinem Arbeitszimmer hin und her zu laufen wie ein Tiger hinter Gittern. Grujewitsch hatte gehört, auch der Genosse Stalin tat dies, wenn er nachdachte.
    »Und noch etwas, Boris Michailowitsch. Stellen Sie sich vor, Hitler stürzt oder ist tot, die Verschwörer erringen wirklich die Macht, auch wenn das eher fraglich ist, was dann? Dann kann es passieren, dass die Deutschen einfach die Waffen niederlegen, und der Krieg ist aus.« Berija unterbrach sich, hielt einen Moment an und setzte seine Wanderung dann fort.
    Grujewitsch hielt den Atem an. Das wäre großartig. Endlich hätte das Schlachten ein Ende. Auch wenn sie auf dem Rückzug waren, die Deutschen waren gefährlich. Ihnen war zuzutrauen, dass ihnen noch etwas einfiel, dass sie zurückschlugen. Wie schön, wenn diese Gefahr gebannt wäre, wenigstens für ein paar Jahre. Es würde Millionen von Menschenleben kosten, bis Berlin in sowjetischer Hand war.
    Berija blieb stehen, er fixierte Grujewitsch streng: »Wenn der Krieg jetzt beendet wird, bringt man uns um den Preis des Siegs. Wenn die Opfer des Sowjetvolks einen Sinn haben sollten, dann den, dass der Sozialismus nach dem Krieg mächtiger ist als vorher. Viel mächtiger. Stellen Sie sich vor, Boris Michailowitsch, Hitler ist weg und Goerdeler, oder wer immer dann für die deutsche Monopolbourgeoisie spricht, macht einfach Schluss. Dann werden die Amerikaner und die Briten womöglich stehen bleiben, irgendwo in Frankreich. Oder glauben Sie, die Bürger in Nordamerika oder in England wollen den Krieg fortsetzen, wenn der Feind kapituliert? Könnten wir dann unseren Befreiungsfeldzug weiterführen?«
    »Wahrscheinlich nicht«, sagte Grujewitsch. Er musste etwas sagen, Berija hatte ihn mit seinen Augen dazu aufgefordert.
    »Ganz bestimmt nicht«, sagte Berija. »Die Arbeiterklasse und die werktätigen Bauern in Polen, Rumänien, Ungarn, Bulgarien und der Tschechoslowakei erwarten von der Roten Armee, dass sie das braune Gesindel vertreibt, damit das Volk die Macht ergreifen kann. Sollen wir die Völker daran hindern, sich zu befreien, indem wir unseren Vormarsch anhalten?« Lawrentij Berija schaute Grujewitsch empört an.
    »Das kann niemand von uns verlangen.«
    Grujewitsch wusste nicht, was er sagen sollte. Berija hatte den großen Blick auf die Dinge, die Welt war für ihn ein Schachbrett. Und doch leuchtete es Grujewitsch nicht ein, warum er sich nicht freuen sollte, wenn Hitler, diese Missgeburt der Weltgeschichte, vernichtet war. Gab es einen gefährlicheren Feind der Sowjetunion als den Diktator in Berlin? Er wagte nicht, dem Staatssicherheitsminister zu widersprechen. Stattdessen sagte er: »Nein, das kann niemand verlangen.«
    »Aber es läuft darauf hinaus«, sagte Berija, setzte sich wieder in seinen Sessel und bohrte mit dem kleinen Finger in der Nase. Er betrachtete auf der Zeigefingerkuppe, was er gefunden hatte, und schnalzte es in den Raum. »Ich habe heute Mittag mit dem Genossen Stalin gesprochen. Der Genosse Stalin sagt: Die Dialektik der Geschichte fordert, dass Hitler am Leben bleibt. Wir müssen den Anschlag auf Hitler verhindern.« Berija starrte an die Decke. »Sie wissen, der Genosse Aleinikow hat große Verdienste, und er ist Ihr Vorgesetzter. Aber er ist alt. So ist es Ihre Aufgabe, den Befehl des Genossen Stalin auszuführen. Ich erwarte, dass unser Kundschafterkollektiv in Berlin den Anschlag auf Hitler verhindert.«
    Grujewitsch dachte an Fritz und Michael. Das war das ganze Kundschafterkollektiv, nachdem die Gestapo die Rote Kapelle abgeräumt hatte. Die Gestapo versuchte den Anschein zu erwecken, als gäbe es die Rote Kapelle noch. Trepper und

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