Der 21. Juli
legte.
Aus der Rumpelkammer wurde allmählich ein Büro. Natürlich war niemand gekommen, um den Müll wegzuräumen. Oberleutnant Schmidt nannte ihm ein unbenutztes Zimmer, das darauf wartete, das Gerümpel aus Grujewitschs Dienstraum aufzunehmen. Mochte sich der Genosse, dem dieses Zimmer irgendwann zugewiesen würde, damit herumärgern.
Es klopfte an der Tür. »Herein!«, rief Grujewitsch. Die Tür öffnete sich, im Rahmen stand eine mittelgroße Gestalt in der Uniform eines NKWD-Hauptmanns. Sein Gesicht hatte einen leichten asiatischen Einschlag, kluge schwarze Augen unter buschigen Brauen. Seinen Mundwinkeln war der Spott nicht fremd, das erkannte Grujewitsch gleich.
»Hauptmann Iwanow meldet sich zum Dienst!«, sagte der Mann in der Tür. Es klang nicht sehr militärisch, »Ach, ich kenne Sie doch, gehörten Sie nicht zu den Smerschleuten, die mit uns in den Feuerüberfall in der Ukraine geraten sind?«
»Ja, Genosse Major. Ich werde Ihnen nie vergessen ...«
Grujewitsch winkte ab. Der Mann war ihm auf den ersten Blick sympathisch. Iwanow war also nun der Stellvertreter des Stellvertreters. Bin mal gespannt, ob sie für Iwanow auch einen Stellvertreter ernennen, dachte Grujewitsch und grinste. Er winkte den Hauptmann zu sich und bot ihm einen Stuhl an. Er wusste gleich, bei Iwanow konnte er auf das militärische Gehabe verzichten. Manchen Menschen sah man eben von vornherein an, dass sie etwas Besonderes waren.
Grujewitsch nahm eine Akte von seinem Schreibtisch und reichte sie Iwanow. »Schauen Sie mal hinein, bin gespannt auf Ihre Meinung.«
Iwanow lächelte ihn an: »Und wo?«
Stimmt, dachte Grujewitsch, er müsste das Zimmer von meinem Gerümpel befreien. Idiotisch, der Schrott zog um. »Besorgen Sie sich einen Schreibtisch, bei mir hier ist genug Platz, wenigstens für eine Übergangszeit. Oberleutnant Schmidt wird Ihnen helfen.«
Schon am Nachmittag hatte Iwanow alles besorgt, was er benötigte, um seinen Pflichten nachzukommen. Er saß in der dunkleren Hälfte des Arbeitszimmers, Grujewitsch hatte seinen Schreibtisch zwischen die beiden Fenster gestellt. Er konnte sehen, wie Iwanow aufmerksam Seite um Seite der Akte las. Als er fertig war, schaute er einen Augenblick an die Decke, dann nickte er.
»Genosse Major«, sagte Iwanow, »Sie wollten meine Meinung hören.«
Grujewitsch lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. »So schnell?«, fragte er. Wer in der Sowjetunion traute sich, seinem Vorgesetzten eine Meinung zu sagen, ohne sie sorgfältig nach allen Seiten hin abgewogen zu haben? Es war gefährlich, sich auf eine Position festzulegen. Vor allem dann, wenn man nicht wusste, was die Vorgesetzten oder die Partei entscheiden würden. Offenbar hatte Iwanow keine Angst vor ihm, es war seltsam, wie schnell sich Vertrauen bilden konnte.
»Wenn Hitler gestürzt oder getötet wird, ist das schlecht für die Sowjetunion«, sagte Iwanow.
Grujewitsch runzelte die Stirn. Es soll schlecht sein, wenn die Bestie verreckt?
Iwanow lächelte, er ließ sich nicht beirren. »Natürlich freue ich mich, wenn der Verbrecher sein verdientes Ende findet.« Er schüttelte den Kopf. »Aber für uns ist es gefährlich.«
»Sie denken an die Bemühungen der Leute um Goerdeler, einen Separatfrieden mit unseren Verbündeten zu schließen?«
»Genau«, sagte Iwanow. »Ich weiß natürlich nicht, ob die Verbündeten darauf eingehen werden. Aber ich fürchte es. Der Antikommunismus wird sich am Ende möglicherweise als stärker erweisen als die Vernunft. Wir arbeiten mit Amerikanern und Briten seit drei Jahren zusammen, nachdem sie zweieinhalb Jahrzehnte versucht haben, uns zu vernichten.«
Grujewitsch bewunderte den nüchternen Verstand seines neuen Untergebenen. Schon im ersten ernsthaften Gespräch verwischten sich die Unterschiede. Grujewitsch als Höherrangiger staunte, dass er keinen Ärger verspürte. Da war nichts Unterwürfiges in Rede und Mimik. Grujewitsch freute sich. Er würde einen Freund finden im Labyrinth des Misstrauens.
»Haben Sie Lust auf einen kleinen Spaziergang?«, fragte Grujewitsch.
Iwanow grinste breit. »Gerne, Genosse Major«, sagte er übertrieben zackig.
Lawrentij Berija, der mächtigste Mann der Sowjetunion nach Stalin, schaute Grujewitsch lange von unten an. Berija saß in einem schäbigen großen Sessel in der Ecke seines Dienstzimmers, Grujewitsch stand in strammer Haltung vor ihm.
»Sie werden es bald versuchen?«
»Ja, Genosse Berija.«
»Unser Kundschafter, dieser
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