Der 21. Juli
sich vor das Schaufenster eines Bekleidungsgeschäfts, das Mondlicht spiegelte sich in Straße und Fassaden. Werdin glaubte einen Moment, eine abrupte Bewegung hinter einer Ruinenmauer entdeckt zu haben. Zuerst wollte er nachschauen, aber dann fiel ihm ein, seine Walther hing in der Wohnung am Garderobenhaken. Er ging rasch, hielt hin und wieder plötzlich an, um zu hören, ob Schritte ihm folgten. Einmal vernahm er ein Platschen, vielleicht war jemand in eine Pfütze getreten. Endlich war er in der Kloedenstraße. Er schloss die Haustür auf und drehte den Schlüssel von innen zweimal herum. In seiner Wohnung holte er die Pistole aus der Ledertasche, lud durch und entspannte den Hahn. Er füllte die fehlende Patrone im Magazin nach, schob es zurück in den Griff und steckte die Waffe in die Manteltasche. Er stieg die Haustreppe hinunter und öffnete die Tür des Hintereingangs. Sie führte in den Gemeinschaftsgarten. Er stellte eine Obstkiste an die Begrenzungsmauer und nahm das Hindernis mit einem Schwung. Er landete auf den Knien auf dem Innenhof des Häuserblocks, die Walther fiel scheppernd auf das Pflaster. Er nahm die Pistole in die rechte Hand, spannte den Hahn und wartete. Auf und ab schwellendes Heulen der Sirenen, Luftalarm. Geduckt rannte er in westlicher Richtung, bis er die Kopischstraße erreichte. Er schaute vorsichtig um die Ecke, er sah niemanden. Durch die Vorgärten der Fidicinstraße schlich er sich langsam in Richtung seiner Haustür. Aus der Ferne näherte sich das Brummen der englischen Bomber, es waren viele.
Kurz bevor er die Haustür sehen konnte, legte Werdin sich auf den Bauch, griff mit den Händen in die Erde und zog sich vorwärts. Das Gedröhn der heranfliegenden Bomber übertönte das Schleifgeräusch. Es war fast nichts zu sehen, Verdunkelung. Nur der Mond warf etwas Licht. Werdin zog sich bis zu einer Hecke. Vorsichtig schob er seinen Kopf über den Heckenrand, die Pistole in der rechten Hand, und begann die Umgebung mit den Augen abzusuchen. Plötzlich sah er ihn, sein schwarzer Mantel zeichnete sich vor der grauen Hausfassade ab. Der Mann ging zur Haustür und versuchte sie aufzudrücken. Sie war verschlossen. Er nestelte etwas aus seiner Manteltasche, steckte es in das Türschloss, schaute sich einmal nach allen Seiten um und verschwand im Haus. Die Tür fiel ins Schloss.
Werdin rannte über die Straße zur Tür und presste sein Ohr dagegen. Nichts zu hören. Werdin schloss die Tür auf und schlich sich in den Gang. Er hielt inne und lauschte. Nur das laute Dröhnen der Flugzeugmotoren. Wenige Kilometer entfernt schlugen die ersten Bomben ein. Die Explosionen kamen näher. Die Scheiben im Treppenhaus begannen mit den Detonationen zu klirren. Immer lauter. Niemand war im Treppenhaus, die Bewohner saßen längst im Keller. Werdin erreichte die Wohnungstür, sie war geschlossen. Vorsichtig drehte er den Schlüssel und drückte die Tür langsam auf. Das Haus zitterte unter der Wucht der Bomben. Ein Schlag, als hätte eine Riesenfaust das Haus getroffen. Die Pistole im Anschlag, ging Werdin langsam durch den Flur. Die Tür zu seinem kleinen Wohnzimmer war halb offen. Er schloss sie immer. Werdin näherte sich der Tür und drückte sie leise auf. Der Eindringling kehrte ihm den Rücken zu, er hatte offenbar nichts gehört. Er durchsuchte eine Schublade des Wohnzimmerschranks.
Werdin knipste das Licht an. »Kann ich Ihnen helfen? Ich kenne mich hier ein bisschen aus«, sagte er.
Die Gestalt fuhr herum, ein kräftiger Mann, der ruckartig große Hände nach oben riss. Der Mann starrte Werdin verwirrt an.
»Erst wollten Sie mich besuchen, das ist natürlich nett von Ihnen. Und dann haben Sie bemerkt, dass ich gar nicht zu Hause bin. Obwohl Sie mir schon in der U-Bahn gefolgt sind. Was mich jetzt am meisten interessiert, wäre eine überzeugende Antwort auf die Frage, was Ihr freundlicher Besuch für einen Grund hat.«
Der Mann zitterte.
»Drehen Sie sich um«, sagte Werdin. »Beine weit auseinander. Und die Hände bleiben oben.« Er drückte dem Mann mit der rechten Hand die Walther in den Nacken, mit der linken durchsuchte er ihn. In der Jackentasche fand er einen Revolver, in einer Innentasche ein Portemonnaie. Er legte beides auf den Wohnzimmertisch. »Wissen Sie, Leute, die mich mit einem Revolver besuchen, stimmen mich traurig«, sagte Werdin. »Das hat doch keinen Stil.«
Er befahl dem Mann, sich umzudrehen. »Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten. Sie sagen mir, wer Sie sind
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