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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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die Philosophen also, sagen bäh, mögen wir nicht. Es wird darauf hinauslaufen, dass ihr eure Gestapo und die KZ auflösen müsst. Es soll eine Untersuchung geben, ob Recht gebrochen wurde, eine echte Lachnummer. Ein paar Leute von den Einsatzgruppen sollen vor Gericht gestellt werden, aber erst nach dem Krieg. Die Herren einigen sich darauf, dass man nichts tun will, was das Volk und das Ausland unnötig aufregt. Wenn wir selbst enthüllen, was für Sauereien passiert sind, kommen wir um die bedingungslose Kapitulation nicht mehr herum. Die Öffentlichkeit in den USA würde Roosevelt zum Teufel jagen, wenn der sich auf etwas anderes einlässt.«
    »Glaubt im Bendlerblock wirklich jemand, wir kriegten den Frieden auf dem Silbertablett?«
    »Doch, doch, Goerdeler, ganz unverdrossen. Der will nun mit den verehrten Feinden reden. Erst wollte er Hitler vom Guten überzeugen, jetzt Churchill, Stalin und Roosevelt.«
    »Das ist doch verrückt. Wir sollten einfach kapitulieren. Alles andere kostet weitere Millionen das Leben. Macht Schluss.«
    »Du bist ein Witzbold. Erst schwätzt du uns deinen Himmler auf, und jetzt sollen wir Schluss machen. Himmler war der Erste, der weiterkämpfen wollte, sonst geht’s ihm an den Kragen. Und er ist nicht der Einzige. Einige spekulieren, wenn wir uns gut verteidigen und den Feinden hohe Verluste zufügen, werden die Leute in England und den USA fordern, Frieden zu machen. Hitler ist weg, Deutschland verzichtet auf seine Eroberungen. Warum also noch Krieg führen?«
    »Und diese tapferen Krieger glauben, die Russen machen das mit?«
    »Die ja nun gerade nicht. Aber die anderen. Auch Stauffenberg neigt zu der Überzeugung, dass wir weiterkämpfen müssen. Wenn die Russen keinen Frieden wollen, aber alle anderen, platzt das Bündnis. Eine Anti-Hitler-Koalition gibt es ja sowieso nicht mehr. Die Russen wissen, dass die Sache teuer für sie wird, wenn wir die Divisionen im Westen und im Süden an die Ostfront werfen können. Vielleicht macht diese Aussicht sie ja bereit, auf unser Angebot einzugehen.«
    »Das ist doch Quatsch. Es kann doch keiner ernsthaft glauben, Stalin ließe sich die Beute jetzt noch durch die Lappen gehen. Dem sind Verluste scheißegal. Dauert es halt ein Jahr länger, Hauptsache, er ist irgendwann Herr über einen möglichst großen Teil von Europa.«
    »Was immer geschieht, morgen steht unsere neue Regierung in der Zeitung. Göring wird Reichspräsident, mit viel Pomp und ohne Macht. Reichskanzler wird Goerdeler, bis zu seinem Sturz, weil die anderen sein Gerede leid sind. Speer bleibt Rüstungsminister. Und unser heiß geliebter Führer ist bei einem heimtückischen Fliegerangriff umgekommen. Damit das Volk weiß, dass auch die Familie Hitler Opfer bringt.«
    Werdin schaute ihn von der Seite an und sagte: »Rettheim, du bist ein Zyniker.«
    »Jawoll, Herr Sturmbannführer«, erwiderte Rettheim. »Der Zynismus und der Weinbrand halten mich am Leben. Vorausgesetzt, du schneidest mich von allen Stricken ab, die mir im Weg herumhängen.«
    Die letzte U-Bahn brachte Werdin von Neulichtenberg zum Alexanderplatz ins Zentrum, dort gab es noch eine Verbindung zur Friedrichstraße. Ihn bedrückte die Ungewissheit. Es lief alles, wie er es sich gedacht hatte. Wenn es so weiterging, würde die SS als Gewinner aus dem Putsch hervorgehen. Irgendwie war es unvermeidlich. Hitler umzubringen war eine Kleinigkeit im Vergleich mit den Mühen, das kopflose Reich nicht im Chaos versinken zu lassen. Hitler hatte seine Paladine um Macht und um seine Gunst gegeneinander wetteifern lassen und alles zusammengehalten. Jetzt waren die Grabenkrieger auf sich allein gestellt. SS und Ordnungspolizei waren die letzten Säulen im morschen Gebälk. Beide unterstanden Heinrich Himmler.
    Als Werdin im Bahnhof Friedrichstraße ausstieg, hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Er ging die Treppe hinunter und drehte sich plötzlich um. Aber er sah nur eine alte Frau, die sich mit einer schweren Tasche die Stufen hinunterquälte. Er rannte die Treppe zum anderen Gleis hoch, der Zug wartete schon. Langsam setzte er sich in Bewegung. Werdin erkannte eine schwarz gekleidete Person, sie rannte dem fahrenden Zug hinterher, versuchte die Tür des letzten Wagens aufzureißen, wurde ein Stück mitgezogen und ließ den Türgriff endlich los. In der Gneisenaustraße stieg Werdin aus. Er verließ den U-Bahnhof und hörte Schritte auf dem nassen Asphalt weit hinter sich, kräftige, schnelle Schritte. Er stellte

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