Der 21. Juli
es.«
»Sie haben sich selbst betrogen«, sagte Mellenscheidt.
Werdin nickte. Genauso war es. »Ich habe geglaubt, Deutschland zu nutzen, wenn ich seinen größten Feind bekämpfe und mich dazu mit dessen Feind zusammentue. Um Hitler zu verhindern, wurde ich Kommunist. Bis ich begriffen habe, dass meines Feindes Feind nicht mein Freund sein muss.«
»Die Russen«, sagte Mellenscheidt. »Bei mir im Betrieb gab es einige, die so gedacht haben wie Sie. Die meisten sind heute Nazis. Bis auf die, die sabotieren und dafür sorgen, dass die Gestapo uns heimsucht. Aber Sie laufen nicht über, Herr Werdin?«
»Das wäre jetzt vielleicht nicht mehr so klug, Hitler ist tot. Morgen steht es in der Zeitung. Ich weiß nicht, was die schreiben. Ich weiß aber, was passiert ist. Hitler wurde getötet, von einem Offizier, mit einer Bombe. In Berlin gibt es einen Staatsstreich«, sagte Werdin.
Schweigen. Der Teller mit den Schnitten stand unberührt auf dem Tisch.
Dann sagte Gustav Mellenscheidt etwas, was ihm tief aus der Seele drang: »Gott sei Dank! Jetzt ist alles vorbei.«
»Ja und nein«, erwiderte Werdin. »Keiner weiß, wie es weitergeht.«
»Und Sie?«
»Ich habe ein wenig geholfen. Und jetzt muss ich sehen, dass ich den Trubel überlebe.«
»Sie können sich bei uns verstecken«, sagte Margarete. Mellenscheidt widersprach nicht.
»Das kann für Sie gefährlich sein.«
»Einmal im Leben muss man mutig sein«, sagte er. »Wir haben im Keller noch eine Kammer frei, mit einer Liege. Für ein paar Tage wird es gehen.« Er schmunzelte. »Aber glauben Sie nicht, dass ich Ihnen auch noch meine Tochter aufdränge .«
»Gustav!« Margarete klang schrill. Aber Mellenscheidt grinste nur.
»Irma kann ganz schön zickig sein, das hat sie von ihrer Mutter.« Mit einem Bleistift schrieb er etwas auf einen Zettel. »Unsere Telefonnummer«, sagte er. »Falls Sie kommen müssen. Oder wollen.« Er wandte sich an Margarete: »Und Verehrer hattest du auch ein paar, genauso wie Irma mit diesem Fliegerhauptmann. Deine Tochter schlägt ganz nach dir.«
»Gustav, du bist unmöglich.« Margarete lächelte, erst widerwillig.
»Dieser Herr von Zacher war doch ganz nett, oder?«
Die Eifersucht schlug ein wie ein Blitz.
Erst als er in der Nacht bei Rettheim klingelte, ließ die Qual der Eifersucht etwas nach. Er war froh, dass Rettheim zu Hause war. Der aber begrüßte ihn mit einem Fluch. »Nun wollte ich endlich mal ein paar Stunden schlafen, und dann musst unbedingt du hier auftauchen.«
Er setzte sich im Bademantel in die Küche. »Was zu trinken?«, fragte er. Werdin winkte ab. Rettheim begnügte sich mit einem Glas Wasser. »Hab mir die Zähne schon geputzt«, sagte er.
Dann berichtete Rettheim vom Machtkampf in Berlin. »Heute ist der 23. Juli, seit drei Tagen geht das Theater. Es muss jetzt bald eine Lösung geben.«
»Und? Auf was werden die Herren sich einigen?«
»Die Würfel sind eigentlich schon am 21. gefallen. Seitdem gibt es nur noch dumme Streitereien, Diven stoßen aufeinander, einer ist eitler und machtgieriger als der andere. Goerdeler will Reichskanzler werden, das kann er aber nur von Himmlers Gnaden, der ist ihm jedoch nicht fein genug. Und dann will der Herr die Westalliierten einladen zu einem Kreuzzug gegen die Russen. Völliger Blödsinn, wir können froh sein, wenn die nicht alle über uns herfallen. Vor drei Tagen stand das Personaltableau in großen Zügen fest, die Verschwörer versöhnen sich seitdem lautstark mit der Idee, dass es ohne SS nicht geht. Glücklicherweise haben sich alle Fraktionen über die Führung an den Fronten geeinigt, sonst ginge es dort auch drunter und drüber. Manstein ist schon am 22. zurück an die Ostfront. Seitdem weichen sie den Russen aus, vermeiden Verluste, schlagen zurück, wo es wehtut. Im Westen soll die Front an den Rhein zurückgenommen werden. Alles, was laufen kann, ist am Schanzen. Das wahnwitzig teure Raketenprojekt wird eingestellt, stattdessen werden Jagdflugzeuge und unterirdische Hydrieranlagen gebaut. Bomber gibt es nicht mehr. Alles wird auf Verteidigung umgepolt. Speer bleibt Rüstungsminister .«
»Hitlers Liebling. Muss der nicht erst mal ein Weilchen weinen, weil sein geliebter Führer im Eimer ist?«
»Davon habe ich nichts gehört. Wahrscheinlich flennt er im stillen Kämmerlein.«
»Und was wird nun mit der SS?«
»Machst dir wohl Sorgen um deinen Germanenkult. Es ist noch nicht offiziell, aber längst festgezurrt. Die Leute vom Kreisauer Kreis,
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