Der 26. Stock
Nacht lang unterhalten wird, aber ich bleibe auf jeden Fall da, bis morgen früh ein anderer Bulle kommt. Der
da draußen könnte einschlafen.«
Isabel lächelte. Sie trat ans Bett und sah Carlos an. Sie konnte es sich nicht verkneifen, sie musste ihm noch einmal über
die weiche, frisch rasierte Wange streichen.
»Okay, ich geh dann.«
»Ich werde gut auf ihn aufpassen«, versicherte Zac, während er Isabel die Tür aufhielt. »Morgen rufe ich dich an, ja? Du musst
mir noch einiges mehr erzählen, und ich dir auch.«
Isabel nickte. Einige Minuten später verließ sie den Aufzug und ging Richtung Parkplatz. Der Nebel hatte dichte kleine Tropfen
auf der Windschutzscheibe hinterlassen. Noch einmal ging ihr Blick zu Carlos’ Zimmer hinauf.
Dort saß Zac in seinem Sessel und sprach fast unhörbar in sein Handy. Irgendwann legte er auf und machte sich mit einem Kugelschreiber
Notizen in einer der Zeitschriften. Dann wählte er eine weitere Nummer und führte das nächste Gespräch. Wenn man Tag für Tag
hinter dem Tresen steht, kennt man eine Menge Leute, darunter auch solche, die einem gelegentlich nützlich sein können. Zac
hatte bereits viele Lektionen gelernt, bevor er hinter Gitter kam. Im Gefängnis war vor allem eine hinzugekommen: dass man
sich am besten schnell bewegte. Nur wohin, war ihm noch nicht ganz klar.
23
In der Wohnung war es dunkel. Isabel zog die Tür zu und stellte ihre Tasche ab. Sie rief nach Teo, aber es kam keine Antwort. Ohne Licht
im Gang zu machen, ging sie in sein Zimmer. Das Bett war zerknüllt. Dann sah Isabel sich in der Küche und im Wohnzimmer nach
einer Nachricht von Teo um. Nach dem, was in der Nacht zuvor passiert war, konnte er wohl kaum in die Schule gegangen sein.
Und selbst wenn er dort gewesen wäre, hätte Teo schon seit Stunden zu Hause sein müssen. Isabel spürte einen leichten Schwindel
und setzte sich. Ihr Atem ging schnell. Es musste eine logische Erklärung geben. Vielleicht war er spazieren gegangen, obwohl
Isabel ihn gebeten hatte, abends das Haus nicht mehr zu verlassen. Aber er war schließlich sauer, eine Trotzreaktion wäre
verständlich gewesen. Isabel konzentrierte sich darauf, ruhiger zu atmen, und wählte noch einmal Teos Handynummer. Sie wartete
auf das Klingeln, da hörte sie plötzlich ein Fauchen. Erschrocken sprang sie auf und folgte dem Geräusch bis in Teos Zimmer.
Unter den zerwühlten Decken fand sie es: ihr altes Handy, das jetzt Teo gehörte. Es vibrierte und gab als Klingelton das katzenhafte
Fauchen von sich, das ihr Bruder so lustig fand. Das Klingeln hörte auf, und in Isabels Kopf schrillten alle Alarmglocken
gleichzeitig.
Sie begriff, dass es jetzt so weit war. Allen Warnungen zum Trotz hatte sie sich dafür entschieden, in derselben Wohnung zu
bleiben, in derselben Stadt und vor allem am selben Arbeitsplatz, in der naiven Hoffnung, dass diejenigen, die ihren Kollegen
Schaden zugefügt hatten, sie nicht weiter beachten würden. Sie hatte einen Fehler gemacht, den sie sich nie verzeihen würde.
Isabel griff zum Telefon.
Sie tippte die Nummer der Polizei ein, drückte aber nicht auf Wählen. Eine kleine Auffälligkeit in der Zimmerecke hielt sie
davon ab. Da fehlte doch etwas. Isabel suchte gründlich, doch Teos Rucksack war nirgends zu finden. Hoffnung machte sich in
ihr breit, und sie lief auf den kleinen Balkon neben der Küche. An der Wäscheleine hingen einige Paar Socken und das T-Shirt , das Teo tags zuvor getragen und aus dem sie die Blutflecken ausgewaschen hatte. Der Overall der Reinigungsfirma dagegen,
den Isabel gewaschen und aufgehängt hatte, hing nicht mehr da. Isabel durchsuchte die Wohnung, um sicherzugehen. Kein Zweifel,
Teo musste ihn mitgenommen haben. Etwas ruhiger kehrte sie ins Wohnzimmer zurück und rief Teos Chef an, erreichte ihn aber
nicht. Sie versuchte es bei der Zentrale im Büroturm, doch wie erwartet, war sie um diese Uhrzeit nicht mehr besetzt, und
die Durchwahl des Sicherheitsdienstes hatte sie nicht. Ungeduldig suchte sie in der kleinen Agenda auf dem Tisch nach der
Nummer der Reinigungsfirma. Sie wählte und hörte, wie der Anrufbeantworter ansprang. Als nach der Ansage der Signalton ertönte,
entschied Isabel sich, keine Nachricht aufzusprechen. Auf einmal klickte es in der Leitung.
»Ja, bitte?« Eine heisere Frauenstimme kam aus dem Hörer. »Wer spricht da?«
Es folgte ein langgezogenes Gähnen. Isabel zögerte kurz.
»Ich würde gerne Mr
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