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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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ihre Verwirrung.
    »Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte sie mit aufrichtiger Besorgnis.
    Isabel schüttelte den Kopf.
    »Nein, nein, es ist nur   …«
    Sie verstummte. Dann schob sie die Schublade zu und bedeutete der Frau, sie möge weitersprechen. Sie würde sich keine Notizen
     machen. Sie hätte einfach ein Blatt Papier aus einer der Schubladen nehmen können, aber sie tat es nicht. Je früher dieses
     Gespräch vorbei war, desto besser. Die folgenden Antworten der Bewerberin drangen kaum mehr zu ihr durch. Als die beiden Frauen
     sich zum Abschied die Hand gaben, wirkte die Bewerberin enttäuscht, aber Isabel versicherte ihr, sie habe einen sehr guten
     Eindruck hinterlassen. Das war nicht gelogen. Bis vor wenigen Tagen hätte Isabel sich sofort an den Schreibtisch gesetzt und
     einen überaus positiven Bericht verfasst. Das wenige, was sie von der Frau mitbekommen hatte, hatte sie überzeugt. Doch jetzt
     war keine Zeit für Berichte.
    Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, stürzte Isabel an den Schreibtisch, zog die Schublade auf und nahm das Stück Stoff
     heraus. Sie betrachtete es und brach in Tränen aus. Dabei presste sie den Stoff vor den Mund, damit niemand ihr Schluchzen
     hörte. Wer das in ihre Schublade gelegt hatte, wollte sie zur Verzweiflung treiben. Sie würde es nicht so weit kommen lassen.
     Sie musste weitermachen, solange sie noch konnte und Kraft dazu hatte. Er würde ihr helfen. Und nicht nur er. Als Isabel sich
     endlich beruhigen konnte, legte sie den Stoff auf den Schreibtisch. Die Tränen hatten den blauen Stoff durchtränkt. Mit zittriger
     Hand nahm sie den Telefonhörer ab und begann eine Nummer zu wählen. Nach der dritten Ziffer legte sie wieder auf. Besser,
     sie versuchte es auf dem Handy. Der Mann, den sie suchte, antwortete unverzüglich.
    »Señorita Alvarado? Ich fürchte, wir wissen noch nichts von Ihrem Bruder.«
    Sie schwieg. Sie brauchte noch zwei Sekunden, um sich zusammenzureißen und nicht gleich wieder loszuheulen.
    »Señorita Alvarado?«, wiederholte die Stimme. »Können Sie mich hören? Wir sammeln gerade sämtliche Videoaufnahmen von der
     Wegstrecke, die Ihr Bruder   … Isabel?«
    »Ich habe etwas gefunden   …«
    Die Worte kamen nur als Wispern über Isabels Lippen. Sie fühlte sich schwach.
    »Was sagen Sie? Ich kann Sie nicht hören!«, rief der Inspektor ungeduldig.
    »Ich habe etwas gefunden.«
    »Was denn? Was haben Sie gefunden? Hören Sie, jetzt ist gleich Mittag, und ich bin bei Ihnen um die Ecke. Treffen wir uns
     in zwanzig Minuten am Eingang zum Einkaufszentrum, direkt neben dem Büroturm, ja? Dann können Sie mir erzählen, was Sie gefunden
     haben.«
    Isabel umklammerte den blauen Stoff. »Es ist Teos Overall.«
    Doch der Inspektor hatte bereits aufgelegt.
     
    »Und warum sind Sie so sicher, dass der Overall Ihrem Bruder gehört?«, fragte Inspektor Márquez. »Ich sehe hier kein Namensschild,
     keine eingestickten Initialen, nichts.«
    Isabel starrte auf den Hamburger, der auf ihrem Teller kalt wurde. Sie hatte keinen Appetit.
    »Waschen Sie Ihre Kleidung selbst?«, erkundigte sie sich.
    Der Polizist hob die Augenbrauen. Offensichtlich fragte er sich, warum Isabel das wissen wollte. Schlürfend trank er einen
     Schluck Cola.
    »Nein, wenn es nicht unbedingt sein muss.«
    »Sehen Sie«, fuhr Isabel fort, »wenn Sie ein Jahr lang einen Overall waschen, dann erkennen Sie den auch wieder. Das ist der
     Overall meines Bruders, und jemand hat ihn mir in die Schublade gelegt.«
    Isabel betrachtete noch einmal den blauen Stoff, der in einer Tüte auf einem der freien Stühle an ihrem Tisch lag. Sie fuhr
     mit dem Finger darüber. Das war das Letzte, was ihr Bruder berührt hatte.
    »Glauben Sie, dass das eine Warnung sein soll?«, fragte der Polizist. Isabel antwortete nicht. »Na ja, jedenfalls wissen wir,
     dass Ihr Bruder es bis zum Turm geschafft hat. Ich habe einen Busfahrer ausfindig gemacht, der ein gutes Gedächtnis hatte.
     Ihr Bruder ist mit dem letzten Bus gekommen und an einer Haltestelle ganz in der Nähe ausgestiegen. Jemand müsste ihn doch
     gesehen haben, oder?«
    Isabel zögerte und zog schließlich die Mappe aus der Tasche.
    »Vorgestern Nacht hat sein Chef ihn nach Hause gebracht. Teo war ziemlich sauer«, fing sie an, und dann erzählte sie ihm,
     was sie schon Zac erzählt hatte.
    »Stört es Sie, wenn ich rauche?«, unterbrach der Inspektor einmal. Isabel schüttelte den Kopf. Er zückte ein Feuerzeug und
     spielte

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