Der 26. Stock
anderen schob er Veras Beine auseinander.
»Neiiiin!«
Sie schrie und bekam dafür einen heftigen Schlag auf den Kopf. Benommen sank sie zurück in die Kissen. Sie spürte, wie ihr
die Hose über die Schenkel gezogen wurde. Gleich würde sie ein letztes Mal von ihrem Mann gedemütigt werden, und dann würde
er sie umbringen.
Auf einmal drangen Rufe aus dem Hausflur und es wurde gegen die Tür gehämmert. Die kalten Hände ihres Mannes krallten sich
in ihre nackte Haut, und seine Nägel bohrten sich ihr ins Fleisch. Dann ertönte ein Donnerhall, als ob die Welt einstürzen
wollte. Vera dachte, dass das vielleicht auch der Fall war, womöglich war ihre Welt zusammengebrochen, und es gab nur noch
das Bett, ihren Mann, der sie unter irrem Gelächter festhielt, und sie, die kurz davor war aufzugeben.
»Lass sie los!«
Die Welt schrie, er solle sie loslassen, aber er wollte nicht hören. Drei Donnerschläge durchschnitten die Luft, und die Leiche
ihres Mannes lag schwer auf ihr. Sie schlug die Augen auf. In dem widerlichen Schädel des Toten klaffte ein rauchendes Loch.
»Vera! Aber was …?« Der Mann, der soeben in den Raum gestürmt war, hatte noch immer die Pistole in der Hand. Er stieß den toten Körper beiseite,
so dass er auf den Boden rollte, und half ihr auf. Sein Atem ging schwer, und er wirkte erschrocken. »Deine Tochter hat mich
angerufen. Ich habe ihr meine Adresse gegeben, und dann bin ich hergefahren, um dich abzuholen. Ich dachte mir schon, dass
du hier bist, aber … Gott, Vera, das war doch …«
Sie nickte zögerlich, während sie sich aufrichtete und sich wieder anzog.
»Ja, mein Mann«, sagte sie und griff hastig nach der alten Schuhschachtel. »Er … er war tot und … und …«
Ohne es zu merken, brach sie in Tränen aus. Sie war völlig aufgelöst. Sie nahm dem Mann die Pistole aus der Hand und steckte
sie in ihre Handtasche. Der Lauf war noch warm.
»Nein, ich will es gar nicht wissen. Tut mir leid. Ich hab’s dir ja schon gesagt, ich halte mich lieber raus.« Der Mann drehte
mit der Fußspitze die Leiche um. Der Schädel war zerborsten, und der Mund stand offen. So konnten sie ihn nicht liegen lassen.
»Wir sollten uns um ihn kümmern.«
Vera schüttelte den Kopf. Dazu war keine Zeit.
»Hauen wir ab«, sagte sie und öffnete die Wohnungstür.
Der Mann zuckte die Schultern und folgte ihr. Er knipste das Licht aus und ließ die Tür angelehnt, die er gerade aufgebrochen
hatte.
»Wie du meinst.«
Sie gingen zu Veras Wagen, und er nannte ihr eine Adresse.
»Da findest du deine Töchter. Ihr seid dort sicher. Etwas anderes kann ich nicht für dich tun.«
»Du hast mir schon sehr geholfen«, sagte sie und näherte sichihm, um ihn auf die Wange zu küssen. Er wandte sich ab und schüttelte den Kopf.
»Nein, bewahr dir den Kuss für Alberto auf, wenn er wieder da ist.«
Vera senkte den Blick.
»Wenn die Kinder dich angerufen haben, dann heißt das, dass sie Isabel nicht gefunden haben. Sie muss schon wieder weg sein.«
»Und Cass?«, fragte der Mann.
»Sie ist bei ihnen. Dein Trick, sie aus der Klinik zu holen, hat funktioniert.«
»Gut«, erwiderte der Mann und wandte sich zum Gehen. »Wenn du etwas brauchst, ruf mich an.«
»Was machst du?«
Er war schon fast bei seinem Wagen. Er öffnete die Fahrertür und drehte sich dann noch einmal zu ihr.
»Aufpassen, dass dir niemand folgt.«
Vera machte einen Schritt auf ihn zu. Sie würde ihn nicht hier zurücklassen.
»Aber du hast schon so viel getan, ich …«
»Geh jetzt!«
Da gab sie ihren Widerstand auf. Sie kannte ihn. Sie stieg ins Auto und ließ den Motor an. Er war der einzige Mensch, der
sich auf ihre Seite geschlagen hatte, und er hatte ihr gerade das Leben gerettet. Erst Cassandra, jetzt er. Aber wenn ihr
Mann ein drittes Mal kam – und das war sicher –, würde vielleicht kein Freund da sein, um ihr zu helfen. Sie legte den Rückwärtsgang ein und lenkte ihr Auto auf die Straße.
Der Mann saß in seinem Wagen und starrte weiter auf den Hauseingang. Der Motor brummte, als wollte er jeden Augenblick das
Fahrzeug durch die Glastür jagen. Vera beobachtete im Rückspiegel den Eingang. Ein Schatten erschien, und die Tür ging langsam
auf. Sie beschloss, nicht abzuwarten, wer da kam. Im Grunde ihres Herzens wusste sie es schon. Kugeln konnten nicht töten,
was schon so lange tot war.
Vera trat aufs Gaspedal. Hinter ihr heulte ein Motor auf und Reifen
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