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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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bäuchlings auf dem Boden. Sie schaltete
     das Licht in der Diele ein. Neben dem Körper breitete sich langsam eine Pfütze aus dunklem, fast schwarzem Blut aus.
    »Du hast mich umgebracht   … du verdammte   …«
    Er jammerte weiter. Sie trat näher. Damit hatte sie nicht gerechnet. Ihr Mann lag da und blutete immer weiter. Was, wenn er
     in Wirklichkeit nie tot gewesen war?
    »Wie   …?«, stammelte sie, während sie vorsichtig auf ihn zuging. »Ich   … du warst doch tot. Ich habe dich sterben sehen.«
    Sie ging noch zwei Schritte auf ihren Mann zu. Sie musste ihm helfen, bevor er verblutete. Sie hielt noch immer die Waffe
     in der Hand, mit der sie auf ihn geschossen hatte.
    »Hilf mir, verdammt noch mal   … Ich   … ich erklär’s dir gleich.«
    Über Jahre hinweg hatte Vera ihren Mann gehasst, und über Monate hinweg hatte sie Gott dafür gedankt, dass er ihn zur Hölle
     geschickt hatte. Aber sie hatte sich nie eingestanden, dass sie ihn manchmal vermisste. Den Menschen, den sie geliebt und
     der sie geliebt hatte – den Mann also, der lange vor seinem Infarktgestorben war. Er war der einzige Mann gewesen, in den sich Vera je wirklich verliebt hatte, und deshalb wandte sie sich ihm
     jetzt zu, ohne zu merken, dass sein Schluchzen allmählich in ein hysterisches Lachen überging. Als sie sich über ihn beugte,
     drehte er sich um, packte sie am Handgelenk und verdrehte es, bis sie die Pistole fallen ließ. Vera schrie vor Schmerz laut
     auf. Er stand auf und trat mit dem Fuß nach der Waffe. Dann packte er Veras andere Hand und sah ihr ins Gesicht.
    In einem verzweifelten Versuch, seinem Anblick zu entkommen, kniff sie die Augen zusammen. Seine Tränensäcke hingen schlaff
     wie Stofffetzen herunter, und die Lider fehlten ganz, so dass seine Augäpfel zu sehen waren. Seine Wangen waren durchlöchert,
     als hätte ein gefräßiges Insekt sich daran gütlich getan. Er war doch tot. Er war seit Monaten tot.
    Seine Hand holte weit aus. Vera schlug nach ihm, erwischte jedoch nur ein Büschel Haare, das sie ihm ohne Mühe ausriss. Abscheu
     zeigte sich auf ihrem Gesicht. Er grinste.
    »Ekelst du dich vor mir?«, fragte er. »Bald wirst du so aussehen wie ich, Schatz. Aber vorher muss ich noch etwas erledigen,
     was ich nicht mehr geschafft habe, bevor ich wegmusste. Mich von dir verabschieden, wie es sich gehört.«
    Vera starrte ihn entsetzt an, ohne zu verstehen, was er damit meinte. Sie hätte schreien wollen, doch ihr war klar: Die Zeit,
     die ihr noch blieb, hing davon ab, ob sie sich ruhig verhielt. Wenn sie jetzt schrie, würde er sie endgültig zum Schweigen
     bringen. Und dieses Mal würde sie keine Waffe haben, um ihn daran zu hindern. Er hob sie hoch und schleuderte sie aufs Bett.
     Vera prallte gegen den Rahmen. Sie fasste sich an den Hinterkopf und stellte fest, dass ihre Hand voll Blut war. Sie sah sich
     um. Sie musste etwas finden, um sich zu verteidigen. Aber bevor sie etwas unternehmen konnte, stürzte sich ihr Mann auf sie.
     Sie spürte das Gewicht seines schlaffen Körpers. Er war eiskalt. Er packte sie am Handgelenk und leckte mit genüsslichem Gesichtsausdruck
     ihre Haut. Vera schloss die Augen und atmete so flach wie möglich. Es gab keine Hoffnung. Sie dachte an ihre Töchter und wünschtesich, jemand möge dafür sorgen, dass nicht sie ihre Mutter tot auf dem Bett fanden. Auf einmal merkte sie, dass die Bewegungen
     ihres Mannes nachließen. Sie riss die Augen auf.
    »Glaubst du eigentlich, dass du mir genügst?«, griente er.
    Vera versuchte, sich loszumachen, aber ihr Mann versetzte ihr einen Schlag in den Nacken und packte sie wieder an den Handgelenken.
     Sie wand sich vor Schmerzen.
    »Von wegen. Als Nächstes sind die Kleinen dran, Schätzchen. Schließlich verdanken sie mir, dass sie am Leben sind, nicht wahr?
     Ich hole mir also nur wieder, was mir sowieso gehört.«
    Er brach in Gelächter aus, und ein Teil des Blutes, das er von Veras Händen geschleckt hatte, tropfte auf ihr Gesicht herab.
    »Glaubst du, du kannst deine Schuld mit dem Leben bezahlen? Nein, nein. Du wirst sterben, Schatz, und außerdem sollst du wissen,
     dass die zwei Kleinen ebenfalls sterben werden. Sie werden mir nicht entkommen.«
    In hilfloser Wut spuckte Vera ihrem Mann ins Gesicht. Er lachte erneut, und Geifer lief ihm aus dem Mund. Aus einem der Löcher
     in seinen Wangen schoss eine schwarze Zunge und leckte den Speichel auf. Mit einer Hand packte er ihre beiden Handgelenke,
     mit der

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