Der 26. Stock
quietschten, ohne das irre Lachen ganz übertönen zu können.
Sie glaubte, mehrere Leute schreien zu hören, bevor sie in einem Höllentempo um die nächste Ecke bog.
34
Die wenigen Blätter an den Bäumen, die sich noch mühten, den Winter zu überstehen, raschelten im Abendwind. Inspektor Márquez schlug den Kragen
seiner Jacke hoch und ging zwischen den Menschen hindurch, die noch vor Ladenschluss von einem Geschäft zum nächsten rannten.
Ihm gingen die drei Schuss Munition durch den Sinn, die er ein paar Abende zuvor verschwendet hatte. Sein Chef war wohlwollend
gestimmt gewesen, und so hatte er dieses Versagen ohne Probleme rechtfertigen können, aber das war es nicht, was ihm Sorgen
bereitete. Der Kerl war in das Krankenhaus eingedrungen, ohne Verdacht zu erregen, und er hatte es geschickt vermieden, sich
von den Überwachungskameras filmen zu lassen. Dem Krankenhauspersonal war er überhaupt nicht aufgefallen, schließlich hatte
er sich als Arzt verkleidet. Mit einem weißen Kittel konnte man bis in jeden Winkel einer solchen Einrichtung gelangen. Aber
ein Krankenhaus war ja auch in erster Linie dazu da, Patienten zu behandeln, und nicht, sie vor einem Mörder zu schützen.
Er, Márquez, dagegen war genau dazu ausgebildet. Doch seine jahrelange Erfahrung, die Dutzende von gelösten Fällen, all das
hatte ihm nicht geholfen, schnell genug zu handeln. Er hatte Carlos zwar das Leben gerettet, aber nur, weil der Täter irgendwie
getrödelt hatte. Und dann war da die Sache mit den Schüssen. Dreimal abgedrückt, und der Kerl war trotzdem entkommen. Sicher,
der blutige Arztkittel war Beweis dafür, dass Márquez nicht danebengeschossen hatte, aber entscheidend blieb, dass der Unbekannte
hatte fliehen können. Die drei Kugeln hätten ihm die Knie zerschmettern müssen, und dennoch war er ohne erkennbareSchwierigkeiten geflohen, und das so schnell, dass er schon nicht mehr da war, als Márquez das Gelände absperren ließ.
Márquez war inzwischen ganz in der Nähe des Turms und warf einen Blick auf die Uhr. Er hatte noch fünf Minuten bis zur vereinbarten
Zeit. Isabel war wie vom Erdboden verschluckt, anscheinend hatte sie es ihrem Bruder gleichgetan, aber das war nicht seine
Schuld. Für Isabel hatte er keine Verantwortung übernommen. Bei Carlos lag die Sache anders. Er war Opfer in einem Fall, in
dem Márquez ermittelte, er war sein einziger Zeuge, und man hatte ihm den Auftrag gegeben, ihn zu beschützen. Der Mann wäre
durch sein Versagen fast umgebracht worden. Weder Carlos noch sonst wer würde davon jemals erfahren, aber das spielte keine
Rolle.
Márquez kannte sich, er war nie ein Gewinnertyp gewesen. Er hatte sich nie für etwas Besonderes gehalten. Eines allerdings
gab es, durch das er sich in gewisser Weise auszeichnete. Eine Gewohnheit, die ihm vielleicht keine Orden, aber doch die Hochachtung
des Chefs eingebracht hatte. Jeden Morgen vor dem Aufstehen und jeden Abend vor dem Schlafengehen rief Márquez sich seine
Irrtümer ins Gedächtnis. Einen nach dem anderen ließ er die großen Fehler an sich vorüberziehen, die er in seinem Leben begangen
hatte. Das war keine Garantie dafür, dass er nicht wieder danebengriff, aber es machte ihn ein Stück vorsichtiger. Wie einer
seiner Ausbilder an der Akademie immer gesagt hatte: »Ein Straßenkater hat mit jeder Narbe eine Lektion gelernt.«
Márquez hatte nichts vergessen, und nun würde er auch in Erinnerung behalten, wie lange er gebraucht hatte, um Verdacht gegen
den falschen Arzt zu schöpfen. Aber es gab eine Möglichkeit, wie er in Zukunft mit einem Lächeln an diesen Fehler denken konnte:
Er musste ihn Carlos gegenüber wiedergutmachen. Er musste Isabel finden. Er wusste, wenn es eine Chance gab, Isabel zu finden,
dann die, ins Hochhaus einzudringen. Kein Richter hätte einen Durchsuchungsbeschluss unterschrieben, ohne vorher zu klären,
welche wirtschaftlichen Folgen eine etwaige Ermittlung haben konnte. Somit war der Plan, den Carlos’ FreundZac gefasst hatte, der einzige Weg. Und genau deshalb stand Márquez zur vereinbarten Stunde an seinem Platz, als der weiße
Van mit dem Logo einer Reinigungsfirma die Straße herunterkam und an der Straßenecke hielt, die Zac ihm genannt hatte. Márquez
ging ruhig auf das Fahrzeug zu und erkannte am Steuer den Mann, auf den er gewartet hatte.
»Sechs Uhr fünfundvierzig, pünktlich wie eine Schweizer Uhr.«
Zac schien die Bemerkung nicht gehört zu
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