Der 26. Stock
Männer zunächst eine ganze Reihe von Fahrzeugen
aus dem Turm kommen sahen, ließ der Verkehr nun nach. Márquez wand sich unruhig in seinem blauen Overall. Im Hochhaus mussten
mindestens zweitausend Menschen arbeiten.
»2123, sagt der Typ, der mir die Unterlagen beschafft hat«, sagte Zac, als hätte er Márquez’ Gedanken gelesen. »Das bedeutet
zu den Stoßzeiten eine wahre Lawine. Deswegen haben die Architekten ein vierstöckiges Parkhaus gebaut, und dazu ein fünftes
Untergeschoss speziell für das Management. Aber alle fahren durch eine einzige Ausfahrt: die dort drüben. Und wie viele werden
das jetzt gewesen sein?«
»Höchstens sechshundert«, gab Márquez zurück.
»Ja, da ist was faul. Sieht fast so aus, als …«
Plötzlich schoss Márquez ein Gedanke durch den Kopf. Isabels Personalblätter fielen ihm wieder ein. Alleinstehende Männer
und Frauen. Er hatte mit Alicia darüber geredet. So viele Todesfällehatte es unter den Mitarbeitern im Turm nicht gegeben. Aber … was wäre, wenn er nach einer Liste von Vermissten gefragt hätte? Würde da eine exorbitante Ziffer ans Licht kommen?
Bevor er den Gedanken weiterverfolgen konnte, leuchteten am Ende der Straße mehrere Scheinwerfer auf. Eine Karawane von weißen
Vans mit dem Logo der Reinigungsfirma bog von der Hauptstraße in die Einfahrt zum Büroturm ab. Zac stellte den Motor und das
Radio aus.
»Fahren wir denen jetzt hinterher?«, fragte Márquez.
Zac schüttelte den Kopf.
»Ich glaube, da würden wir sehr schnell auffliegen. Wir warten.«
Er drehte den Kopf Richtung Turm, und Márquez folgte seinem Blick. Hinter einer kleinen Umzäunung an einer der Seitenwände
standen mehrere Container. Die Vans fuhren durch die Schranke, und diese schloss sich wieder. »Wird nicht lang dauern, bis
sie anfangen, die Müllsäcke aus dem Gebäude runterzubringen. Und dann muss das Zeug raus in die Container. Das ist der härteste
Job, also überlassen sie das meistens den Frischlingen. Jedenfalls ist das der beste Moment, um reinzugehen. Weißt du schon,
was du machst, wenn wir drin sind?«
Márquez nickte. Zac zog eine I D-Card aus der Tasche und gab sie ihm.
»Du fährst zuerst hoch. Anscheinend kann immer nur einer den Aufzug nehmen.«
»Wir hätten doch auch einem von den Reinigungstypen die Karte abknöpfen können, oder?«
»Aber die fahren keine Luxuskarossen«, erwiderte Zac trocken. »Ich habe keine Ahnung, wer für die oberen Stockwerke zuständig
ist. Und was will ich mit einer geklauten Karte, mit der ich dann bloß in den ersten Stock komme. Okay, wenn du da bist, wo
du hinwillst, schickst du mir den Aufzug mit dem Ausweis runter. Nachher hole ich dich auf dem Weg nach unten ab. Ich rufe
dich vorher auf dem Handy an, damit du zum Aufzugkommst. Beeil dich. Wenn ich Isabel gefunden habe, will ich so schnell wie möglich abhauen.«
Márquez nickte. Es war nicht das erste Mal, dass er an etwas teilnahm, das nicht ganz hasenrein war, aber er hatte doch immer
gewusst, dass seine Dienstmarke ihm aus der Klemme helfen würde. Bei Zac war das anders.
Gaardner saß zufrieden lächelnd in seinem Büro, das im Halbdunkel lag, nur spärlich erhellt von einigen Duftkerzen mit Vanillearoma.
Er betätigte einen Knopf auf einer kleinen Schreibtischkonsole, und zarte Bossa-nova-Klänge erfüllten den Raum. Die Stunde
rückte näher, aber er würde vorbereitet sein, und dass er seine Pläne auszuführen hatte, würde ihn nicht daran hindern, jede
Minute zu genießen. Er überlegte, was er Isabel sagen konnte. Es würde ihm nicht schwerfallen, sie zu überreden. Sie hatte
sich weitaus fügsamer gezeigt als erwartet. Er beugte sich vor und drückte einen weiteren Knopf. Ein Summen, dann die kindlich
wirkende Stimme einer Frau.
»Ja?«
»Luna, komm zu mir ins Büro.«
Gaardner ließ den Knopf los, und die Verbindung wurde abgebrochen. Er brauchte ihre Antwort nicht abzuwarten. Er wusste, was
sie sagen würde. Luna stand mittlerweile völlig unter seinem Einfluss, so eigenwillig sie auch wirken mochte. Was nachts zuvor
passiert war, bestätigte das voll und ganz.
Es war ein großartiges Gefühl, auf dem Weg nach ganz oben zu sein. Bald würden die obersten Bosse ihn bitten, seinen Platz
unter ihnen einzunehmen, da war er ganz sicher. Die jetzige Situation würde nicht lange andauern. Er schaffte sich einen Konkurrenten
nach dem anderen vom Hals und hatte es bereits zum Geschäftsführenden
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