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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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Direktor gebracht. Gaardner nahm einige Fotos aus einer
     Schublade und sah sie einzeln an. Die Aufnahmen hatte er in der Nacht gemacht, als Isabel noch schlief. Nachdem er ein paarmal
     mit Luna geschlafen hatte, hatte er seine Digitalkamera genommen und sich leise ins Nebenzimmer geschlichen,um Isabels Gesicht zu fotografieren, ohne dass sie es merkte. Auch das bedeutete eine Art von Macht. Sie schlief, er war wach.
     Dann war Luna aufgestanden und flüsterte ihm von der Tür aus zu, er solle zu ihr zurückkommen.
    Er drehte sich um und musterte sie mit einem vernichtenden Blick. Luna interessierte ihn nicht. Sie war nur eine nette Abwechslung.
     Nachdem sie mit ein paar Kollegen ins Bett gegangen war, hatte sie zu ahnen begonnen, was im Turm wirklich lief. Aber bei
     Isabel lag der Fall anders, sie wusste von nichts. Jahrelang war sie zur Arbeit erschienen und hatte ihren Job kompetent erledigt.
     Und im Gegensatz zu dem, was Hugo behauptet hatte, um ihn zu täuschen, hatte sie sich aus allem herausgehalten.
    Gaardner nahm noch einmal das erste Foto in die Hand. Er fragte sich, welche Gedanken wohl unter der weißen Haut ihrer Stirn
     verborgen lagen. Es war wundervoll gewesen, sie aufwachen zu sehen, als ihr der Kaffee und der Duft der leckeren Toasts, die
     Luna geschmiert hatte, in die Nase stieg. Verwirrt hatte sie sich mit an den Frühstückstisch gesetzt. Isabel genoss das neue
     Leben, das ihr zugedacht worden war, das Leben, das jedem zustand, der auf dem 26.   Stockwerk arbeitete – zumindest bis zu seiner nächsten Beförderung. Doch nicht nur das: Isabel hatte alle Sorgen aus ihrem
     bisherigen Leben vergessen. In einem knappen Tag waren ihre verstorbenen Eltern, ihre kalte Vorortwohnung, ihr Bruder nur
     noch ein vager Dunst in der Erinnerung einer Frau, die jetzt ihren Spaß haben wollte. Gaardner konnte ihr das nachfühlen.
     Es war immer dasselbe. Die Tür ging auf, und Luna kam auf ihn zu.
    »Betritt nicht noch mal mein Büro, ohne anzuklopfen.«
    Gaardners freundschaftlicher Ton war verschwunden. In seinem Umgang mit Luna war der nicht mehr nötig. Er hatte sie unter
     Kontrolle. Dennoch wagte Luna, sich aufzulehnen.
    »Glaubst du   … weil du mit mir geschlafen hast, kannst du so mit mir reden?«
    Gaardner musterte sie mit dem gleichen Blick, den er ihr in derNacht zugeworfen hatte, als sie beinahe seine Aufnahmesession beendet hätte.
    »Wenn du willst, dass wir’s heute Nacht wieder machen, dann hältst du jetzt besser die Klappe.«
    Mehr war nicht nötig. Er brauchte ihr nicht einmal in Erinnerung zu rufen, dass es allein von ihm abhing, ob sie am Montag
     noch hier arbeiten würde oder nicht.
    »Braves Mädchen. Sag den anderen Bescheid, dass wir heute Abend wieder in dasselbe Lokal gehen. Dann fahren wir drei wieder
     zu mir, aber ich will, dass du vor Tagesanbruch verschwindest. Kapiert?«
    Luna nickte. Sie war offenbar kurz davor, in Tränen auszubrechen.
    »Möchtest du noch irgendetwas?«, fragte sie. Er schüttelte gelangweilt den Kopf. »Apolo, ich   … ich fand’s gestern schön, mit dir zusammen zu sein, und   …«
    »Schluss damit«, unterbrach er sie schroff. »Behalt das für dich, bis ich dich danach frage. Und jetzt lass mich allein.«
    Auf leisen Sohlen schlich sie hinaus. Bestimmt glaubte sie, sie sei die Erste, die ihm diese Gefühle mitteilte. Am Ende gerieten
     sie alle in seine Abhängigkeit. Irgendwann fühlten sie sich echter, besser, wenn sie Momente mit ihm teilten, und das wollten
     sie ihn dann auch wissen lassen. Als ob so etwas für ihn die geringste Rolle spielen würde. Die Bosse erwarteten von ihm,
     dass seine Untergebenen gute Arbeit leisteten, und genau das versuchte er zu erreichen.
    Gaardner stand auf und trat auf den Flur hinaus, wo er mehr Licht hatte. Weiter hinten ging Luna gerade aus einem Büroraum
     in den nächsten, gehorsam seine Pläne vermittelnd. Er ging auf Isabels Büro zu und klopfte an der Tür. Von der anderen Seite
     kamen ein heftiges Husten und ein abruptes Geräusch, wie wenn eine Schublade hastig zugeschoben würde.
    »Ja?«
    Gaardner spürte, wie er am ganzen Körper eine Gänsehaut bekam. Was für eine Stimme die Frau hatte, ehrlich, einfach undvollkommen unbeleckt von den wahren Abläufen um sie herum. Er öffnete die Tür und trat ein. Isabel hatte den Blick auf den
     Bildschirm geheftet.
    »Ich habe mich gefragt, ob du dich wohl schon entschieden hast, wie du dein Büro ausstatten möchtest.«
    Isabel nahm den Blick vom

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