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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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Monitor und sah sich neugierig um, als stellte sie sich diese Frage zum ersten Mal.
    »Keine Ahnung«, gab sie zu. »Ehrlich gesagt, bin ich so schon ganz zufrieden.«
    Gaardner lächelte.
    »Du bist nicht sehr anspruchsvoll.« Er ging um den Schreibtisch herum, stellte sich hinter Isabel und legte ihr eine Hand
     auf die Schulter. Einige Sekunden lang betrachtete er den Text auf dem Bildschirm, ohne ihn jedoch zu lesen. Da war er sehr
     vorsichtig. Ihm reichte schon seine eigene Strafe. »Wie läuft die Arbeit?«
    Isabel zuckte die Achseln. Sie drückte auf eine Taste, und der Text wurde durch einen neuen ersetzt.
    »Ich verstehe nicht ganz, was all die Fragen sollen, die ich gestellt bekomme. Keine hat mit der anderen etwas zu tun, und
     ich kann mir nicht vorstellen, was sie für einen Nutzen haben könnten. Aber macht nichts, ich finde die Arbeit schon in Ordnung.«
    Gaardner musterte ihr Gesicht, das sich am oberen Rand des Monitors spiegelte. Darum ging es, dass sie sich wohlfühlte. Siehst
     du, ging ihm durch den Sinn, jeder von euch hat eine andere Aufgabe, und zwischen diesen Aufgaben besteht kein sichtbarer
     Zusammenhang. Wenn euch jemand dabei zusehen könnte, würde er sagen, dass das alles nur ein Spiel ist: Informationen über
     bestimmte Personen zusammensuchen, psychologische Fragen beantworten, die man jedem vorlegen könnte, weltpolitische Analysen
     erstellen   … Tatsache ist, dass ihr das zwar nicht merkt, aber ihr seid eine kleine Einheit, ein blindes Herz, das den Interessen des
     Vorstands dient. Den beraten wir schließlich, nicht wahr? Und weißt du was? Mit der Zeit schöpft jeder Verdacht und erkennt,
     dass das, was er da tut, alles andere als korrekt ist,aber was ist heutzutage schon noch korrekt, liebe Isabel? Muss ein Unternehmen nicht alles tun, um erfolgreich zu sein? Dann
     sind da das Gehalt, die Arbeitsatmosphäre, der Luxuswagen, das Image   … Das sind einfach zu viele Vorteile, meine kleine Isabel.
    Etwas in der Richtung hätte Gaardner gerne zu ihr gesagt, aber es war nicht der richtige Augenblick dafür. Das würde später
     kommen. Für jetzt war es das Beste, einfach zu lächeln und ihr weiter ein gutes Gefühl zu geben.
    »In einer halben Stunde gehen wir ins Babel, wie gestern, einverstanden?«
    Isabel brauchte eine Sekunde länger als erwartet für ihre Antwort, und Gaardner dachte schon, es würde Probleme geben, aber
     dann lief doch alles wie geplant, und Isabel willigte ein. Herrlich, wie die Puppen tanzten, wenn er nur den Finger krümmte.
     Bald würde er an einem großen runden Tisch sitzen und auch dort mit seinem Lächeln den Willen seiner Vorgesetzten beherrschen,
     aber dafür brauchte er noch etwas Übung. Und Zeit. Er kehrte in sein Büro zurück, zog die unterste Schreibtischschublade auf
     und entnahm ihr die kleine Pappschachtel, die er mitgebracht hatte. Dann sah er einige Sekunden lang hinein. Unter dem Flüssigkristalldisplay
     setzte seine Digitaluhr weiter den Countdown fort.
     
    31:43:12 , 31:43:11 , 31:43:10   …
     
    Die Zeit lief unaufhaltsam ab. Einen Moment lang sah Gaardner sich selbst im Inneren einer großen Sanduhr, in der er darum
     kämpfte, nicht zusammen mit den feinen Körnern in die unendliche Tiefe zu stürzen. Er schüttelte den Kopf. Diese angsterfüllten
     Gedanken musste er vermeiden. Er würde nicht zulassen, dass die Panik ihn übermannte. Er hatte einen Plan und nichts zu befürchten.
    Eine halbe Stunde später wies er Luna an, mit den anderen ins Lokal vorauszufahren, er würde dann nachkommen. Als Nächstes
     schaltete er die PCs ab und stellte sich ans Fenster, um hinauszuschauenund die letzten Einzelheiten seines Plans durchzugehen. Er durfte nicht vergessen, sich ein Seil zu beschaffen, falls irgendetwas
     Unvorhergesehenes geschah. Mehr brauchte er eigentlich nicht. Er erwog nochmals, eine Schusswaffe mitzunehmen, verwarf das
     aber sofort wieder. Demnach zu urteilen, wie es anderen ergangen war, hätte die Waffe ihm nicht viel genützt. Die Baumkronen
     wiegten sich sanft im Wind. Der Regen hatte aufgehört. In der Ferne lag die Stadt bereits in der Dämmerung. Über dem Turm
     war noch Tag. Gaardner sah zu, wie das Tageslicht immer weiter abnahm, und entspannte sich. Er hatte nicht die geringste Eile.
     Als er auf den Flur hinaustrat, schien das Stockwerk verlassen zu sein. Mit einem kleinen Schlüssel sperrte er den Ausgang
     zur Feuerleiter ab und spazierte dann an den offenen Bürotüren vorbei.
    Vor

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