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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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gerochen hatte. Plötzlich durchbrach ein Knarzen draußen auf dem Flur die Stille. Er spürte, wie das Blut
     in seinen Schläfen pochte. Auf leisen Sohlen ging er zur Tür. Nichts. Von der hereinpolternden Truppe von Wachleuten, die
     er erwartet hatte, keine Spur. Wahrscheinlich lief da nur eine andere Reinigungskraft herum. Zac war sicher, das Klingelsignal
     des Aufzugs nicht gehört zu haben. Er atmete tief durch, trat geduckt hinaus auf den Gang in der Erwartung, jeden Augenblick
     jemanden von dort kommen zu sehen. Würde ihn in diesem Moment eine Kamera beobachten, würde sein Verhalten Verdacht erregen.
     Nein, da war niemand auf dem Flur. Und doch zerriss ein Klagelaut die Luft, und unversehens strich ihm ein Hauch über die
     Wange. Erfuhr herum und suchte nach der Quelle dieses Lauts. Der Ausgang zur Feuertreppe stand offen, aber es war niemand zu sehen.
     Er hatte ja noch nicht einmal Schritte gehört.
    »Hallo?«
    Sein Gefühl sagte ihm, dass er keine Antwort bekommen würde, und so war es auch. Wer auch immer die Tür geöffnet hatte, er
     war nicht hereingekommen. Durch einen kleinen Spalt konnte Zac gerade mal ein Stück Geländer sehen.
    »Hallo«, wiederholte er, während er vorsichtig auf die Tür zuging. »Ich bin von der Reinigungsfirma. Ich   … ich suche einen Kollegen, es ist nämlich so   …«
    Zac machte noch ein paar Schritte. Von dem Luftzug, der ihm übers Gesicht strich, ging die Tür ganz langsam knirschend auf.
     Es roch nach Feuchtigkeit und verbrauchter Luft wie in einem jahrelang verschlossenen Keller. Zac stellte sich seitlich neben
     die Tür und schob sie mit dem Fuß weiter auf. Keine Bewegung auf der anderen Seite, keine Reaktion. Als er in den Flur zur
     Feuertreppe trat, spürte er, dass da etwas nicht stimmte. Metall. Eine breite Metalltür versperrte den Durchgang zum nächsthöheren
     Treppenabschnitt.
    Ein weiterer Klagelaut, und auch diese Tür öffnete sich einen Spalt weit, und dabei entstand abermals ein merkwürdig kalter
     Luftzug. Zac zog die Tür ganz auf. Der erste Treppenabsatz war von Leuchtröhren und Notlichtern erhellt. Er hob den Blick.
     Der Rest der Treppe, die nach oben führte, lag fast völlig im Dunkeln. Er rieb sich die Augen. Alles Licht schien sich jenseits
     des ersten Absatzes zu verlieren, als hätte jemand einen zugleich durchsichtigen und undurchlässigen Vorhang darübergehängt.
     Zac blieb gebannt stehen, um das Phänomen zu betrachten. Inzwischen herrschte auf der gesamten Etage wieder Stille. Er ging
     auf die Treppe zu. Dann trat er auf den ersten Absatz und streckte die Hand aus.
    Als seine Fingerkuppen die Linie ins Dunkel überquerten, schien um ihn herum alles in Wellen zu erzittern wie die Oberfläche
     einer Flüssigkeit. Über dem ersten Absatz war es kalt, eineEiseskälte, die seine Fingerkuppen traf wie ein Schlag. Er merkte, dass er nicht weiter vordringen wollte, aber er tat es
     dennoch, trat einen Schritt vor und tauchte ins Dunkel ein.
    Er spürte den Windzug viel stärker auf seinem Gesicht, und mit dem Wind kam vom oberen Stockwerk ein durchdringender Geruch
     nach Verlassenheit. Noch eine Stufe. Alles hatte hier denselben Farbton: ein fahles Grau. Sogar seine Haut und seine Kleidung
     hatten ihre Farben eingebüßt. Zac hatte Angst, aber etwas drängte ihn weiter. Noch ein Schritt, und als seine Schuhsohle den
     Boden berührte, der erste Schrei. Er riss die Hände vors Gesicht. Der beleuchtete Treppenabsatz schien kilometerweit weg zu
     liegen. Ja, er hatte etwas gehört, etwas, das nur einen Sekundenbruchteil gedauert hatte, einen kurzen, markerschütternden
     Schrei, der tief in seinen Kopf eingedrungen war. Er dachte nicht, dass er sich das etwa nur eingebildet hätte. Er konnte
     an gar nichts denken außer daran, weiter nach oben zu gehen. Noch eine Stufe, und diesmal hörte er es ganz eindeutig. Der
     Schrei hielt viel länger an, fast eine Sekunde. Er kam von oben, doch was da geschrien wurde, konnte Zac nicht verstehen.
     Vor seinem geistigen Auge erschien das Bild Isabels, bedrängt, verletzt, um Hilfe rufend. Er nahm zwei Stufen auf einmal.
    »Nein!«
    Das hatte er jetzt verstanden, aber er hielt sich die Ohren zu und hastete weiter treppaufwärts.
    »Nein!«
    Das kam aus nächster Nähe. Es war eine Frauenstimme. Zac lief weiter. Der Kopf schien ihm zerspringen zu wollen von dem Geschrei,
     aber viel fehlte nicht mehr bis zum nächsten Treppenabsatz. Nur noch ein paar Schritte  

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