Der 26. Stock
Gorilla seine Waffe zog und losstürmte, traf Márquez seine Entscheidung. Wenn er Zac irgendwie helfen konnte, dann
wohl von hier aus.
»Nicht doch«, wandte er sich höflich an den Stämmigen, der Befehle in die Sprechanlage blaffte und dabei den Monitor nicht
aus den Augen ließ. »Das ist bloß einer von den Kollegen.« Die Kamera war immer noch auf den Unbekannten gerichtet, der jetzt
auf die Feuertreppe zuging.
»Du Vollidiot! Weißt du nicht, dass ihr auf den Stockwerken da oben nichts zu suchen habt? Dein Kumpel kommt uns sicher nicht
noch mal ins Haus. Wenn sie ihn nicht gleich umnieten.«
Mehr brauchte er nicht zu sagen. Márquez trat neben ihn, und seine Faust traf den Mann ohne jede Vorwarnung an der rechten
Schläfe. Eines zweiten Schlages bedurfte es nicht, er verlor sofort das Bewusstsein. Márquez sah auf den Monitor. Er hatte
Zac aus dem Blick verloren. Er kramte das Handy aus der Innentasche seines Overalls. Aber Zac hatte seines anscheinend ausgeschaltet,
oder er hatte kein Netz, wie Isabel seit fast zwei Tagen. Vielleicht hatte er recht, und Isabel war tatsächlich hier, doch
etwas sagte Márquez, dass sie keine Zeit haben würden, das festzustellen.
Er suchte das Kontrollpaneel ab. Man musste doch irgendwie mit dem 26. Stockwerk in Kontakt treten können. Aber da waren zu viele unbekannte Regler und Knöpfe. Er musste einen Weg finden, um Zac
rauszuholen. Er hatte das Ganze auf die leichte Schulter genommen. Einfach in die Höhle des Löwen vorzudringen, ohne zu überlegen,
dass die Sache auch übel ausgehen konnte … Márquez atmete tief durch, versuchte nachzudenken.Jetzt war nicht der Moment für Selbstvorwürfe. Er trat ans Regal, griff sich zwei Bänder heraus – »26. Stockwerk« und »Aufzüge« – und steckte sie in den Papierkorb. Mit leeren Händen würde er nicht von hier verschwinden.
Er warf noch einen Blick auf den Monitor. Die Kamera hatte den Ausgang zur Feuertreppe im Visier. Anscheinend hatte Zac die
Tür geöffnet. Längst waren die Wachleute auf dem Weg nach oben, in Aufzügen, übers Treppenhaus, Zac saß in der Falle, dem
Plan nach gab es kein Entkommen. Das Einzige, was Márquez für ihn tun konnte, war, ihm nachher aus der Klemme zu helfen, wenn
er festgehalten und ausgequetscht wurde. Wenn O’Reilly erklärte, dass er diesen angeblichen Mitarbeiter überhaupt nicht kannte,
würden die Wachleute sich intensiv der Frage widmen, was der Kerl dann überhaupt im Turm verloren hatte. Und sofern ihn sein
Instinkt als Polizist nicht trog, würden sie versuchen, die Antwort aus Zac herauszubekommen, bevor sie die Polizei riefen.
Márquez fühlte sich machtlos. Vorerst blieb ihm nichts anderes übrig, als sich selbst in Sicherheit zu bringen. Er ging zu
den Aufzügen, nicht ohne vorher den Monitor und einen Teil des Kontrollpaneels funktionsunfähig zu machen. Das würde die anderen
Wachleute hoffentlich für einige Minuten aufhalten.
Zac schlug benommen die Augen auf. Er lag neben dem Ausgang zur Feuertreppe. Die Metalltür schien zugefallen zu sein. Er hörte
mehrere Stimmen, die sich von den unteren Stockwerken her näherten.
»Los, macht schon!«, rief eine Männerstimme. »Er ist da oben!«
Sie waren mindestens zu zehnt. Zac kam auf die Füße; ihm war schwindlig. Sie hatten ihn gefunden. Sie wussten, wo er war,
und würden versuchen, ihn sich zu schnappen. Er war verwirrt von den Erlebnissen auf der Treppe und sein Verstand verweigerte
ihm den Dienst. Er ließ sich von seinem Instinkt leiten und lief durch die Tür ins Innere. Dann holte er sein Handy hervor
und versuchte, die Polizei anzurufen, aber er hatte kein Netz. Inzwischenspielte es keine Rolle mehr, ob sie ihn auf den Bildern der Überwachungskameras sehen konnten. Er wusste, dass sie ihn entdeckt
hatten. Márquez hatten sie wahrscheinlich schon in der Hand. Er musste um jeden Preis einen Weg nach draußen finden.
Als er die Aufzüge erreichte, wurde ihm klar, dass er keine Chance hatte. Wenn er über die Treppe floh, würde er seinen Verfolgern
direkt in die Arme laufen, und die Aufzüge waren allesamt besetzt. Bestimmt fuhren ihm gerade mehrere Wachleute entgegen.
Er sah sich um und suchte vergebens nach einem Zugang zum Belüftungsschacht. Der Springbrunnen plätscherte vor sich hin, und
die Aufzüge kamen unaufhaltsam näher. Er war verloren.
Es gab nur noch eine Möglichkeit. Nach oben zu gehen. Zurück auf die Treppe und nach oben.
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