Der 26. Stock
…
»Neeeeiiiin!«
Er krümmte sich vor Schmerzen. Ein körperlicher Drang hinderte ihn stehen zu bleiben. Er musste den nächsten Absatz erreichen.
Von dort aus würde er das nächste Stockwerk ausmachen können. Und vielleicht hätte er dann auch Isabel im Blick. Er schien
kurz davor zu sein … die letzte Stufe.
»Hau aaaaaaaab!«
Der Schrei war so laut, dass Zac ins Taumeln geriet. Er spürte, wie er das Gleichgewicht verlor, und zur selben Zeit wurde
der Luftzug zum Sturm, zu einer Kraft, die ihn umzuwerfen drohte. Er versuchte sich an der Wand festzuhalten, doch vergeblich,
seine von der Kälte tauben Finger griffen ins Leere. Dann verlor er den Halt und stürzte die Treppe hinunter.
Márquez war nicht oft in Großraumbüros gewesen, aber was er vor sich sah, erinnerte ihn an Hollywoodfilme: ein Labyrinth aus
abgetrennten Boxen mit Telefon, PC und Fax. Márquez brauchte nicht zur Decke hochzusehen, um sich darüber im Klaren zu sein,
dass er von mehreren Kameras beobachtet wurde. Er hatte seine Zweifel, ob er sich als Schauspieler so gut schlagen würde wie
Zac. Er ging zwischen den Tischen hindurch, bis er einen Papierkorb fand. Der war zwar leer, trotzdem hob er ihn hoch und
ging mit gesenktem Blick Richtung Flur, scheinbar den Boden nach Müll oder Papierschnipseln absuchend. Er hatte keinen Schimmer,
wie Zac zu dem Plan gekommen war, aber nützlich war er auf jeden Fall. Márquez’ Ziel war der zentrale Kontrollraum. Wenn er
es bis hierher geschafft hatte, konnte er wohl kaum ohne ein kleines Souvenir nach Hause gehen. Kurz vor dem Raum hörte er
zwei männliche Stimmen. Er zögerte keine Sekunde, sondern marschierte weiter auf die angelehnte Tür zu, immer noch den Papierkorb
in der Hand. Als er kaum mehr als zwei Meter entfernt war, ging die Tür auf. Keine Frage, sie hatten ihn kommen sehen.
»Ich dachte, ihr seid hier schon fertig«, sagte ein großgewachsener, kahlgeschorener Mann von der Schwelle aus. Er ähnelte
in erstaunlicher Weise dem Wachmann aus der Tiefgarage. Dieselbe Pose, derselbe abschätzige Gesichtsausdruck. »Dein Kollege
ist doch gerade abgehauen.«
»Nee, das war nur, weil ihn der Chef angefunkt hat«, erklärte Márquez im Brustton der Überzeugung. »Hier drin hat er noch
nicht sauber gemacht, oder?«
»Macht ihr nie. Ihr habt doch viel zu viel Schiss vor uns.«
Der Typ lachte, und der zweite Wachmann hinten im Raum stimmte ein. Márquez schloss sich ihnen mit einem verschüchterten Kichern
an und senkte dabei den Kopf. Eine innere Stimme forderte ihn laut und deutlich auf, diesen Gorilla unangespitzt in den Boden
zu rammen. Er hätte die beiden Typen in wenigen Sekunden fertigmachen können. Da war er schon mit ganz anderen Kalibern klargekommen.
Aber er ließ es gut sein. Der Wachmann war dumm genug gewesen, beiseitezutreten und ihn hereinzulassen. Ein Schritt, und Márquez
befand sich in der Höhle des Löwen – eines selbstzufriedenen, arroganten Löwen, der sich von einem Papierkorb und einem blauen
Arbeitsoverall hinters Licht führen ließ. Einem Overall, in dem eine halbautomatische Waffe steckte, die ihm das Hirn aus
dem Schädel pusten konnte.
Márquez sah sich um. Er wusste, wonach er suchte. Der Raum war etwa fünfzehn Quadratmeter groß. An einer der Wände zeigten
zahlreiche Monitore Bilder aus verschiedenen Kameras in den einzelnen Stockwerken und vor dem Gebäude. Im hinteren Teil des
Raums standen neben einigen Aktenschränken Regalreihen voll etikettierter Videobänder. Márquez kannte solche Sicherheitssysteme.
Nicht umsonst verdienten sich einige seiner Kollegen als Berater derartiger Unternehmen ein ordentliches Zubrot zu ihrer Pension.
Früher hatte ein Ermittler immer mit der Spurensuche begonnen, auch heute war das natürlich üblich, zuvor aber vergewisserte
man sich, ob nicht vielleicht ein indiskretes elektronisches Auge die Tat gefilmt hatte. Kameras in Banken oder in der U-Bahn , deren Bilder zwei Tage lang auf den Bändern blieben. Danach wurden sie gelöscht, die Bänder wiederverwendet. Der falsche
Putzmann warf einen unauffälligen Blick auf die hinter dem Rücken der beiden Wachleute aufgebauten Monitore. Ein Teil der
Außenbereiche, die Aufzüge und sämtliche Stockwerke wurden überwacht. Mit einem schnellen Blick stellte Márquez fest, dass
auch auf den obersten Etagen gefilmt wurde, in leeren Großraumsowie in Einzelbüros. In einigen davon sah man die Mitglieder
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