Der 26. Stock
Und es sieht so aus, als wäre das den Firmenbossen nicht ganz unbekannt.
Warum gehen wir nicht zum Vorstandschef, oder wie der Obermacker heißt, und stellen ihn zur Rede?«
Zac fing wieder an zu lachen. Márquez runzelte die Stirn. Was war daran so witzig?
»Du willst den befragen, der im Hochhaus das Sagen hat, ja? Und von wem erfahren wir, wer das ist?«
»Dafür haben wir polizeiliche Datenbanken«, erwiderte Márquez.
»Die werden uns nichts bringen. In deinen Datenbanken wirst du nur bis zu einem gewissen Gaardner kommen, das ist der geschäftsführende
Direktor. Wenn du ihn tatsächlich findest und ihn vernehmen kannst, ohne dass er dir eine Horde Anwälte auf den Hals hetzt,
dann sag mir Bescheid. Aber ich bezweifle, dass ergenau im Bilde ist, was seine Vorgesetzten wiederum machen. Und außerdem erlaubt denen die Rechtslage, anonym zu bleiben.«
»Woher weißt du das?«
»Carlos hat mir mal davon erzählt«, erklärte Zac. »Anscheinend ist das ziemlich unüblich, nur eine Handvoll Unternehmen hat
eine offizielle Erlaubnis, aus Sicherheitsgründen die Namen der Vorstandsmitglieder unter Verschluss zu halten. Normalerweise
sind das Firmen, die im Auftrag der Regierung arbeiten. Wahrscheinlich ist das Unternehmen nicht nur durch seine Waffenproduktion
mit der Regierung verbandelt.«
Márquez fühlte sich so winzig und unbedeutend wie eine Ameise. Großkonzerne mit Wolkenkratzern überall auf der Welt, Tausenden
von Angestellten, Regierungsaufträgen … Im Vergleich dazu war er ein Nichts. Zac erhob sich vom Tisch.
»Also, ich pack’s dann mal. Bist du morgen dabei?«
Márquez nickte und starrte ins Leere. Er saß mit Zac in einem Boot. Er hielt ihm die Tüte mit den Overalls hin.
»Nein, wirf die draußen in den Müll«, sagte Zac, schon unterwegs zur Tür. »Morgen wenden wir einen anderen Trick an.«
»Und zwar welchen?«, fragte Márquez.
»Ich werd mir schon was ausdenken. Ruf mich an, falls du auf den Videos etwas findest.«
Damit trat er auf die Straße hinaus, bog rechts ab und war verschwunden. Márquez bestellte sich einen Gin. Er hatte große
Lust, sich zu betrinken. Sein Instinkt sagte ihm, dass die Sache schiefgehen würde. Sie hatten eine Menge riskiert. Sie hatten
sich in die Höhle des Löwen gewagt und waren wie durch ein Wunder davongekommen. Morgen würde man sie schon erwarten. Aber
was hatte er zu verlieren? Vielleicht würden Zac und er am Ende die Tatsachen ans Licht bringen, und ihre Gesichter würden
auf allen Nachrichtensendern erscheinen.
Der Barbesitzer stellte ihm den Gin auf den Tresen. Márquez nahm das Glas und setzte sich wieder an seinen Tisch. Er betrachtete
die durchscheinende Flüssigkeit. Seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit.
In den Monaten, nachdem seine Frau ihm gestanden hatte, dass sie in einen anderen verliebt war, hatte Márquez viele Stunden
in Bars und Kneipen verbracht. Er fühlte sich am Ende, nicht weil die Ehe, auf die er gesetzt hatte, in die Brüche gegangen
war, sondern weil er ahnte, wie sein weiteres Leben ablaufen würde. Eine unaufgeräumte, schmuddelige Wohnung und ein, zwei
Mal im Monat eine andere Frau im Bett. Er würde alt und einsam sterben. Und er konnte ein noch so harter Bursche sein, davor
hatte er Angst. Damals hatten ihm die wundervollen blauen Augen seiner Tochter, die herzerwärmenden Momente, wenn sie bei
seinen Besuchen freudig auf ihn zurannte, geholfen, sich nicht gehen zu lassen.
Wie Márquez nun in der Bar saß, das Glas Gin in der Hand, wurde ihm klar, warum er ein zweites Mal in den Turm gehen musste,
aus demselben Grund, aus dem er seiner Tochter zuliebe weitergekämpft hatte, aus dem er überhaupt Polizist geworden war: selbst
ein Verlierer wie er, der ein Scheißleben führte, konnte großartige Menschen retten und zu deren Glück beitragen. Und Isabel
und Teo hatten nicht verdient, was gerade mit ihnen passierte.
Márquez stand auf, ließ ein paar Münzen auf dem Tresen liegen und hob die Tüte vom Boden auf. Dann trat er auf die Straße
hinaus. Am erstbesten Müllcontainer entledigte er sich der Overalls. Drinnen in der Kneipe räumte der Barmann sein Glas mit
Gin ab. Es war unberührt geblieben.
Einer der Angestellten aus dem »Babel« übernahm dienstbeflissen Gaardners Cabrio. Wie jeden Freitag standen am Eingang Dutzende
Leute Schlange und warteten darauf, dass der Türsteher darüber befand, ob sie zu den erwünschten Gästen zählten.
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