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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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etwa drei Minuten. Die wichtigste Regel hatte er von einem Zellengenossen gelernt, der später bei einem Knaststreit
     ums Leben gekommen war: Du darfst das Metall an den Gleisen nicht berühren, sonst gibt’s einen Kurzschluss oder du verkokelst.
    Für gewöhnlich verlief das Stromkabel mehrere Meter über dem Boden in der Oberleitung, aber besser war, man riskierte nichts.
     Zac lief entgegen der Fahrtrichtung los, während er hinter sich ein neuerliches Pfeifen hörte, das Signal, dass der Zug jetzt
     anfuhr, in den Osten der Stadt. Er selbst war nach Westen unterwegs.
    Er lief schneller. Ihm blieben keine drei Minuten. Er hatte damit gerechnet, durch den Tunnel hindurch das Licht der nächsten
     Haltestelle zu sehen, doch das war nicht der Fall, deshalb nahm er eine kleine Taschenlampe aus der Schachtel und knipste
     sie an. Mittlerweile hatte er etwa zweihundertfünfzig Meter hinter sich, und das Licht der nächsten U-Bahn -Station war immer noch nicht zu sehen. Er hätte nicht gedacht, dass der Weg so weit war, wusste aber, dass der gesuchte Ausgang
     nicht fern sein konnte. Er zog das GP S-Gerät aus der Tasche und überprüfte,dass er auch wirklich in die richtige Richtung gegangen war. Zac hatte es sich ein paar Hundert Euro mehr kosten lassen, dass
     das Gerät auch unterirdisch funktionierte. Er ließ den Lichtstrahl über die Tunnelwand gleiten. Eine große Ratte hob die Schnauze
     und sah ihn aus glitzernden roten Äuglein an, dann ertönte ein weiteres Pfeifen und sie stob davon.
    Zac erstarrte, aber sein ausgezeichnetes Gehör sagte ihm, dass er nicht in Gefahr war. Er knipste die Taschenlampe aus und
     presste sich an die rechte Wand. In der Gegenrichtung brauste ein Zug vorüber. Der Lärm des Metalls, das an den Verbindungsstücken
     der Wagons gegeneinanderschlug, war ohrenbetäubend. Als der Zug vorbeischoss, hätte der Fahrtwind Zac beinahe umgeworfen,
     doch es gelang ihm, das Gleichgewicht wiederzufinden. Wieder die Dunkelheit. Während er den Zug verschwinden sah, begriff
     er. Die Strecke beschrieb hier eine scharfe Kurve, deshalb konnte er die nächste Station nicht sehen. Wieder ließ er den Strahl
     der Taschenlampe über die Wand wandern, über die Betondecke, die Leitungen. Diverse Schilder waren mit einem Code aus Buchstaben
     und Zahlen beschriftet. Alle paar Meter gab es einen Belüftungsschacht, und hier und da führte eine Leiter an die Oberfläche.
     Was er suchte, musste ganz in der Nähe sein.
    An einer schmalen Öffnung in der Wand blieb er stehen. Ein Loch von etwa fünfzig Zentimetern Breite. Drinnen lag ein Pappkarton,
     daneben stand eine offene Milchtüte. Er richtete die Lampe auf die Öffnung, zwei große Augen musterten ihn. Der bleiche Mann
     mit dem zerfurchten Gesicht und der roten Wollmütze auf dem Kopf sagte kein Wort. Er sah ihn nur an, ohne eine Miene zu verziehen.
     Er streckte auch nicht die Hand aus, um ein Almosen zu erbitten, sondern presste beide Hände an die Brust, als wollte er ein
     Restchen Wärme unter seinem abgewetzten dunkelblauen Mantel bewahren. Zac erschrak nicht. Er wusste, dass im Untergrund von
     Madrid Menschen lebten. Er zog einen Geldschein hervor und legte ihn neben die Milchtüte. Der Mann zeigte keine Reaktion.
    Zac ging weiter. Von Ferne wurde das Rattern des nächsten Zuges hörbar. Er musste sich beeilen. Nach fünfzig Metern stieß
     er auf eine lange Leiter, die hinauf in eine Belüftungszone führte. Die gleißenden Scheinwerfer der U-Bahn blendeten ihn. Er drückte sich neben der Leiter an die Wand. Der Fahrtwind wirbelte ihm durchs Haar und durch die Kleidung.
     Dreißig Zentimeter von seinem Rücken entfernt sausten die tonnenschweren Metallwaggons an ihm vorbei. Er krallte sich an die
     Wand. Ein kleiner Schritt nach hinten, und er würde zu Brei zermalmt. Ihn überkam das gleiche Gefühl, das er gelegentlich
     auf Brücken oder am Rand einer Dachterrasse verspürt hatte: der Wunsch zu springen, sich selbst mit einem einzigen Fehltritt
     zu zerstören. Aber er tat es nicht. Er war kein Dummkopf.
    Als der Zug vorbei war, holte er tief Luft, wischte sich den Schweiß von der Stirn und stieg dann die Eisenleiter hoch. Durch
     das Lüftungsgitter betrachtete er die nahen Gebäude, die sich gegen den dunkelblauen Abendhimmel abzeichneten. Das GP S-Gerät trog nicht. Er war am richtigen Ort. Er stieg wieder nach unten und ging ein paar Schritte weiter, bis er fündig wurde: da,
     eine kleine Pfütze, die sich aus dem durchs Gitter

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