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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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gelaufenen Regenwasser der letzten Tage gebildet hatte. Daneben befand
     sich die erwartete runde Öffnung, einer der breiten Abwasserkanäle des U-Bahn -Systems, die direkt in die Kanalisation führten. Zac schob zunächst den Werkzeugkasten durch die Öffnung und zwängte sich
     dann selbst hindurch. Zum Glück litt er nicht an Klaustrophobie, denn die engen Wände des Betonzylinders drückten ihm gegen
     die Schultern und den Rumpf und schnürten ihm schier die Luft ab. Nach einigen Metern erreichte er einen kleinen Raum mit
     sehr niedriger Decke, durch den ein aus verrosteten Abwasserrohren gespeistes, stinkendes Rinnsal floss. Zacs Hemd war zerfetzt,
     seine Schultern zerkratzt. Mit dem Lichtstrahl der Taschenlampe folgte er dem Rinnsal, das der natürlichen Neigung des Bodens
     folgend von Norden nach Süden floss. Er nahm den entgegengesetzten Weg. Ein paar Meter weiter gab sein Gerät einen Piepton
     von sich und zeigte damit an,dass er am eingegebenen Ziel angekommen war. Er hob den Blick und sah den Deckel des Abwasserrohrs vor sich, das er gesucht
     hatte.
    Zac betrachtete die Aussparung für den Inbusschlüssel an einer der Seiten des Deckels. Er hatte jetzt keine Zeit für solche
     Feinheiten. Er zog einen kleinen Meißel und einen Hammer aus der Kiste. Ein kurzer, trockener Schlag, und der Meißel drehte
     sich im Schlüsselloch. Jetzt konnte er den Deckel entfernen, aber er wusste, dass übermäßige Eile ein Fehler gewesen wäre.
     Er musste warten.

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    »Was , wenn dein Leben wie eine Streichholzschachtel wäre?«, fragte eine Stimme. »Denk mal darüber nach. Jeden Tag verbrauchst du ein Streichholz,
     und es brennt vor deinen Augen herunter, ohne dass du etwas dagegen tun könntest. Nach und nach gehen dir die Streichhölzer
     aus, und die Schachtel wird immer leichter. Eines Tages merkst du dann, dass du nur noch eines übrig hast.«
    »Aber wir wissen doch nie, wie viele uns noch bleiben«, erwiderte eine andere Stimme. »Deshalb leben wir ja glücklich und
     zufrieden, bis sie alle sind.«
    »Willst du denn wissen, wie viel Zeit dir noch bleibt?«, bot die erste Stimme an. »Ich kann’s dir sagen. Dann weißt du, wann
     dich dein letzter Tag erwartet.«
    Gaardner schreckte aus dem Schlaf hoch. Draußen war es schon dunkel. Rasch zog er die Uhr aus der Tasche.
    »Mist!«
    Ihm blieben nur noch drei Stunden. Er war eingeschlafen wie ein Idiot. Isabel schlug die Augen auf.
    »Was ist los?«, fragte sie. Gaardner war aufgesprungen, er tigerte im Zimmer auf und ab und sah immer wieder auf die Uhr.
     »Apolo, ist etwas passiert?«
    »Ich bin eingenickt und habe überhaupt nichts vorbereitet!«
    Isabel sah ihn verwirrt an.
    »Vorbereitet? Für wen?«
    »Na, für sie, verstehst du das denn nicht?«, fragte er zurück. Er zog das Jackett aus und schleuderte es in eine Zimmerecke.
    »Wer soll das sein, sie?«
    Gaardner sah sie mit einem verächtlichen Lächeln an. Isabels Unschuld hatte ihn angezogen, und er brauchte sie auch noch,
     aber so langsam empfand er eine Mischung aus Mitleid und Ekel dafür.
    »Wie kannst du nur so naiv sein?«, fragte er und trat dabei an den Drehstuhl, in dem Isabel ihr Nickerchen gemacht hatte.
     »Du warst Teamleiterin, hast du denn gar nichts von dem mitgekriegt, was um dich herum läuft?«
    Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und stützte sein Gewicht darauf. Er hatte Isabel an seiner luxuriösen Welt teilhaben
     lassen, hatte ihre Schönheit bewundert und abgelichtet, er hatte seinen Duft mit ihr geteilt, aber vermutlich verdiente sie
     das alles nicht. Sie war nur ein x-beliebiges Püppchen, durch dessen Schuld er eingeschlafen war. Wenn sie ihm nicht mehr
     nützen konnte, würde er sie dafür büßen lassen. Sie würde schon noch lernen, sich gefügig zu zeigen und seine Wünsche vorauszuahnen,
     bevor er sie überhaupt hatte. Gaardners Finger gruben sich fest in ihre Schulter, und Isabel stöhnte auf.
    »Apolo, du tust mir weh. Lass mich los«, bat sie jämmerlich. »Was ist denn mit dir? Wer   … wer sind sie?«
    Gaardner lachte auf und beugte sich nach unten, so dass sein Gesicht zwei Zentimeter vor dem ihren war. Er konnte ihren kurzen,
     unregelmäßigen Atem spüren. Sie war vollkommen verschreckt.
    »Sie sind diejenigen, die uns holen kommen, Isabel. Merkst du wirklich nicht, was in diesem Unternehmen läuft, verdammt noch
     mal? Sie schnappen sich uns und quälen uns. Sie machen Jagd auf uns, Isabel. Wir sind ihre Beute.«
    Isabel entfuhr ein langer

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