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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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ahnte jedoch, dass es schon zu spät war. Man hatte sie gehört. Sie klammerte
     sich an die Rücklehne des Stuhls und versuchte, sich zu konzentrieren. Sie musste hier weg oder wenigstens Vera in Sicherheit
     bringen. Die Stille, die auf Veras Aufschrei folgte, dauerte nur kurz. Isabel hielt den Atem an. Ein unverwechselbares Geräusch
     kam über den Flur auf sie zu. Sie hatte es Hunderte von Malen gehört, wenn jemand einen schweren Gegenstand von einem Büro
     ins nächste schob oder wenn ein Rad am Postwägelchen brach. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Da wurde etwas über den
     Teppich geschleift. Dem Dröhnen nach etwas Zentnerschweres. Isabel begann zu zittern. Sie hatte Angst. Vera krümmte sich im
     Stuhl, während das Geräusch anschwoll und immer näherkam.
    »Ich will nicht sterben   …«
    Hatte Vera zuvor noch geschrien, so war jetzt nur noch ein dünnes Wispern zu hören. Isabel runzelte die Stirn. Sie hatte etwas
     gesehen. An der hinteren Wand stand ein großes Aktenregal; es war ein Stück von der Seitenwand abgerückt. Das wäre ihr gar
     nicht aufgefallen, hätte sich nicht daneben ein grauer Fleck von der Wand abgehoben. Jetzt hob der Fleck einen Arm. Das war
     ein Schatten. Nur, wessen Schatten? Er winkte ihr wie zum Gruß. Isabel machte einen Schritt zurück zu Veras Stuhl, um genauer
     hinzusehen. Der Schatten hob sich deutlich von der weißen Wand ab. Der markerschütternde Schrei, der hinter ihr ertönte, hallte
     in ihrem Kopf wider. Er musste aus mindestens zehn Kehlen gleichzeitig kommen. All diese Menschen brauchten Hilfe, doch Isabel
     begriff, dass sie sich erst selbst in Sicherheit bringen musste. Hastig rollte sie Veras Stuhl in den hinteren Teil des Raums.
     Weitere Schreie drangen an ihr Ohr. Sie hatte die Höhe des Schattens erreicht, der auf einmal verschwunden war. Isabel drehte
     sich nicht um. Das Schmerzgeheul war nun schon ganznahe. Was sich da über den Boden schleppte, würde jeden Moment in den großen Raum eindringen. Ohne lange zu überlegen, versteckte
     sie den Stuhl hinter dem Aktenregal und kauerte sich daneben.
    »Ich will nicht   … will nicht   …«
    Sie packte ihre Freundin an der Kleidung, zog sie zu sich herunter und hielt ihr abermals den Mund zu. Vera widersetzte sich
     nicht. Sie war noch immer in ihren Albtraum versunken. Isabel schloss die Augen. Fünfzehn Meter trennten sie von dem, was
     gerade in den großen Raum gekommen war, unter pausenlosem Wimmern und gelegentlichen Schreien. Nur ein Aktenschrank stand
     noch zwischen ihnen und diesem unbekannten Wesen.
    Ein lautes Krachen, Holz, das brach, dann ein schlurfendes Geräusch und ein metallisches Knirschen. Das Licht fuhr herunter,
     und ein Stück Plastik wurde knapp einen Meter neben Isabel an die Wand geschleudert. Sie erkannte das Gehäuse eines Rechners.
     Das Etwas war da, und es kam auf sie zu. Als sie den ersten Schwall infernalisch stinkender Luft in die Nase bekam, verflogen
     ihre letzten Zweifel, ob sie gut daran getan hatte, sich zu verstecken. Sie schloss die Augen und lauschte. Gegenstände flogen
     durch den Raum und schlugen rechts und links neben dem Aktenschrank auf. Es war fast da. Isabel schaute. Gegen das Stückchen
     Wand in ihrem Blickfeld zeichnete sich ein neuer Schatten ab, diesmal unscharf. Der Schatten hatte nichts Menschliches an
     sich. Er war unförmig und riesengroß, und er winkte nicht mit der Hand, dafür regten sich Dutzende von Formen an der Oberfläche.
     Ausbuchtungen aller Art traten in ständigem Wechsel hervor und verschwanden wieder. Drei Schreie nacheinander. Eine Frau und
     zwei Männer. Nur den letzten davon konnte Isabel verstehen.
    »Gott!«
    Sie spürte, dass sie nicht mehr lange durchhalten würde. Rasch suchte sie nach etwas, auf das sie ihre Aufmerksamkeit verlagern
     konnte. Am oberen Rand des Aktenschranks hatte jemand einen Aufkleber mit Palmen und einem Stück Meer angebracht. Zwischenden Palmen stand ein Sonnenschirm und darunter zwei Wörter: »Eines Tages«. Isabel erinnerte sich: So fing ein Kinderlied an,
     das ihre Großmutter ihr immer vorgesungen hatte.
    »O Gott!«
    Eines Tages wirst du fortgehen und in kristallklaren Gewässern schwimmen. Eines Tages.
    »Ich kann nicht mehr!«
    Eines Tages wird alles wunderbar friedlich sein unter der guten Sonne. Eines Tages.
    »Bitte hilf uns!«
    Und wann ist dieser Tag? Dann, wenn du dieses Lied selbst singen kannst.
    Niemand mehr hielt Vera den Mund zu. Isabel hatte unwillkürlich die

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