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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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nicht, wie lange die tragende Struktur des Gebäudes
     noch hält. Setz das hier auf!«
    Vera nahm den Helm, den Zac ihr entgegenstreckte. Sie half Zac, Isabel hochzuheben, dann überquerten sie die Schwelle zum
     zwölften Stock. In dem großen Raum am Ende des Flures brannte es lichterloh. Das Feuer hatte sich von den Papierstapeln genährt,
     von Plastik und Möbelstücken. Vera zeigte auf das Büro des Abteilungsleiters. Noch verhinderte die massive Doppeltür, dass
     das Feuer dort eindrang. Sie liefen hinein, und Zac legte Isabel auf den Teppich, während Vera die Tür zuzog.
    »Wie geht es ihr?«, fragte sie.
    Zac beugte sich über Isabel und hielt ein Ohr vor ihre Nase. Was er dann tat, war Antwort genug. Mit zwei Fingern fasste er
     Isabel an Nase und Kinn. Er öffnete ihren Mund und begann mit der Beatmung. Vera war klar: Wenn Isabel etwas zugestoßen war,
     würde sie für den Rest ihres Lebens Schuldgefühle haben, und wenn sie steinalt wurde. Sie trat ans Fenster. Die Flammen tauchten
     die Nacht in ein orangefarbenes Licht. Vera hätte gerne frische Luft hereingelassen, aber der Metallrahmen war glühend heiß.
    Vera blieb nicht mehr viel Zeit. Sie ging zu einem der Aktenschränke und zog die oberste Schublade auf. Sie wusste nicht mehr,
     welche sie schon durchgesehen hatte, bevor Hugo gekommen war. Während sie in den Papieren wühlte, hörte sie Isabel husten.
     Sie hatte es geschafft.
    »In ein paar Minuten geht’s ihr wieder gut«, sagte Zac und trat an Veras Seite. »Sogar als sie keine Luft mehr bekommen hat,
     hat sie sich an die Kamera geklammert. Ich frage mich, was daran so wichtig sein soll   … Was suchen wir hier eigentlich?«
    »Eine I D-Card . Rai, mein Chef, hat hier eine für mich hinterlegt.«
    »Aber« – Zac zog die unterste Schublade auf und wühlte sie durch   –, »hattet ihr denn selbst keine?«
    »Nicht für dahin, wo wir hinwollen.«
    Das Prasseln des Feuers wurde immer lauter. Das Metall verbog sich immer weiter.
    »Und, wohin gehen wir?«, fragte Zac.
    Vera lächelte. Einen Augenblick lang war in ihr ein ungerechtfertigtes Misstrauen gegen Rai aufgekommen. Er mochte unangenehm
     wirken, vielleicht war er das manchmal auch, aber als sie wirklich seine Hilfe brauchte, hatte er ihr beigestanden, und zwar
     viel mehr, als sie ihn jemals zu bitten gewagt hätte. Sie zog einen kleinen Umschlag aus der Schublade, der sich unter den
     vergilbten Seiten einer alten Verkaufsbroschüre verbarg. Auf der Rückseite stand »Viel Glück«. In dem Umschlag lag das Stück
     Plastik, das sie ans Ziel bringen würde.
    »Wir fahren hoch«, sagte Vera und zeigte Zac die Karte. »Ins oberste Stockwerk.«
    Stirnrunzelnd schüttelte er den Kopf.
    »Da können wir nicht hin. Wir kommen nie bis zu den Aufzügen durch. Außerdem, als ich vorhin hochgefahren bin, war nur noch
     einer funktionsfähig. Wenn der immer noch funktioniert, stürzt er wahrscheinlich von unserem Gewicht ab, und wir zerschellen
     unten in der Tiefgarage.«
    »Ihr könnt immer noch gehen«, sagte Vera ruhig, während sie den Blick durch den Raum schweifen ließ, als suchte sie etwas,
     das ihr heruntergefallen war.
    Zac machte den Mund auf, um weiter zu argumentieren, dass das alles doch Wahnsinn sei, aber da unterbrach ihn Isabel mit vom
     Rauch heiserer Stimme.
    »Ich komme ganz bestimmt mit«, sagte sie und kam mühsam auf die Beine. »Mein Bruder ist da oben. Garantiert.«
    Zac überlegte   … Wenn er dort oben die Antwort fand, die Carlos suchte? Er nickte, gab Isabel seine Decke und machte sich auf den Weg zur
     Tür.
    »Geht’s dir wieder gut?«, wandte er sich an Isabel. Sie nickte. Sie presste noch immer die Kamera an die Brust. »Vera?«
    Sie wusste, dass sie keine Zeit zu verlieren hatten. Aber wo war dieses verflixte Ding? Hugo hatte ihr die Waffe aus der Hand
     gerissen, die Patronen herausgenommen und beides in verschiedene Ecken des Raums geworfen, aber der Revolver war nicht mehr
     da. Die Munition auch nicht. Einen Moment lang stellte sie sich ihren Mann vor, wie er Stufe um Stufe heraufkam, um sich zurückzuholen,
     was ihm gehörte, aber dann verwarf sie den Gedanken kopfschüttelnd. Er konnte nicht bis hierher gekommen sein. Seine Aufgabe
     hatte darin bestanden, sie in den Turm zu treiben, nicht aber, sie bis ins Gebäude zu verfolgen. Oder etwa doch? Sie hatte
     keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie gab die Suche auf, winkte Zac, die Türen zu öffnen, und ging als Letzte aus dem Büro.
    

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