Der 26. Stock
Zac biss sich auf die Unterlippe. Er hatte nicht damit
gerechnet, dass es so kommen würde, aber er war auch nicht bereit, jetzt aufzugeben.
»Wartet auf mich!«
Er verschwand in der Tür, die vom Treppenabsatz hinein ins 26. Stockwerk führte.
»Können wir ihm vertrauen?«, fragte Vera.
Isabel nickte. Nach wenigen Sekunden tauchte Zac wieder auf, drei dicke graue Decken über dem Arm. Isabel erkannte sie sofort
wieder. In Lunas extravagantem Büro hatte sie auf diesen Decken gelegen.
»Deckt euch damit zu und kommt mit«, sagte Zac. Er warf ihnen je eine Decke zu und marschierte los. »Ich gehe voraus.«
»Was soll das?«
»Ich lasse euch auf keinen Fall allein gehen. Das würde Carlos mir nie verzeihen. Wohin wollt ihr?«
Isabel sah Vera an, und die erwiderte ihren Blick und hüllte sich dann in die Decke. Wieder vernahmen sie eine Explosion,
die den Boden und die Wände erschütterte.
»In den zwölften Stock!«, rief Vera, während sie sich an den Abstieg machten. Zurück an den Ort, wo alles begonnen hat, dachte
Isabel und folgte den beiden.
Isabel konzentrierte sich auf die Erinnerung an ihren Bruder. Zac und Vera rannten vor ihr die Stufen hinunter, notdürftig
durch Decken geschützt, und hielten nur kurz inne, wenn hin und wieder eine Stichflamme aus einem der Notausgänge auf den
Stockwerken schlug. Jeder vernünftige Mensch hätte sie alle drei für verrückt erklärt. Es herrschte eine Bruthitze, und je
weiter sie nach unten vordrangen, desto dichter wurden die Rauchschwaden. Sie durchquerten mehrere kleine Brandherde. Stufe
um Stufe ging es weiter, und Isabel bekam allmählich keine Luft mehr. Fernsehnachrichten kamen ihr in den Sinn, Reporter,
die Aufnahmen von Bränden kommentierten, ausgelöst von einer Gasexplosion, einem nicht abgeschalteten Herd oder nachlässig
ausgedrückten Zigarettenkippen. Die Opfer starben immer auf die gleiche Weise: an einer Rauchvergiftung.
Diese Hitze. Eine Stufe, und noch eine, hinter ihren Begleitern her, die Hände oben, um die Decke festzuhalten. Zwischen Zac
und den beiden Frauen explodierte etwas: Eine Tür brach aus den Angeln und in tausend Splitter. Vera drehte sich um und rief
Isabel etwas zu. Doch Isabel konnte nur das Feuer hören, das Knistern der Flammen, dazu der Rauch, der auf sie zukroch wie
zuvor das Ungetüm. Vera streifte sich die Decke über wie ein Gespenst und lief durchs Feuer. Isabel starrte in die Flammen.
Wie schön sie waren, wie sie flackerten und züngelten, während sie den Sauerstoff in der Luft verzehrten. Isabel fragte sich,
welcher Tod wohl angenehmer war, der eines Ertrinkenden oder der eines Menschen, der bei einem Brand umkam. Beide erstickten,
aber auf sehr unterschiedliche Weise, jeder auf seine Art.
Sie stürzte sich in das Flammenmeer und hatte es in kaum einer Sekunde durchquert. Sie hielt nicht an, um sich zu vergewissern,
dass alles in Ordnung war. Sie wollte nur noch an einem sicheren Ort ausruhen. Sie brauchte Sauerstoff. Vor sich unter dem
Saumder Decke sah sie Veras und Zacs Füße. Sie folgte ihnen, aber es war zu heiß. Sie würde ihnen sagen, dass sie jetzt stehen
blieb. Nur für einen Moment, so lange man brauchte, um den Turm zu verlassen, wieder zu Atem zu kommen und zurückzukehren.
Sie würde die Luft anhalten und so in den zwölften Stock gelangen, das war nämlich ihre einzige Chance. Sie konnte nicht atmen.
Sie hustete. Es würgte sie, und sie musste wieder husten. Die Hitze war unerträglich. Ihr Körper glühte. Sie würde die beiden
nicht einholen können. Aber sie würden es merken, irgendwann würden sie es merken. Sie verlor das Gleichgewicht und ließ sich
fallen.
»Um Himmels willen!« Vera drehte sich in dem Moment um, als Isabel den Halt verlor und stürzte. Die Decke hatte Feuer gefangen,
und Isabel hatte es nicht bemerkt. Vera gelang es, die Freundin aus der Decke zu wickeln. Isabel reagierte nicht, ihr Blick
ging ins Leere. Zac drehte sich um und kam zurückgelaufen. Noch eine Explosion, diesmal mehrere Stockwerke über ihnen, gefolgt
vom lauten Klirren berstender Glasscheiben. Dann hörten sie ein langgezogenes Ächzen. Zac kannte das Geräusch. Er hatte es
in der Fabrik oft gehört. So klang es, wenn Metall sich verbog.
»Jetzt ist das Feuer schon im Aufzugschacht!« Er schrie, um den Lärm zu übertönen. Er bückte sich und hob den Schutzhelm auf,
den der verwundete Feuerwehrmann hier liegen gelassen hatte. »Ich weiß
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