Der 26. Stock
und bedeutete ihr stehen zu bleiben.
»Nein, dazu ist jetzt keine Zeit. Ich muss euch mitnehmen.« Er drehte sich zu Isabel. Sie konnte die Traurigkeit in seinem
Blick erkennen. »Du solltest nicht hier sein, Isabel. Ich habe versucht, dir zu sagen, dass du abhauen sollst. Warum hast
du nicht auf mich gehört?«
Zac schwieg. Das war also Alberto Hernán, Isabels verschwundener Chef. Vera machte noch einen kleinen Schritt nach vorne,
doch wieder wies Hernán sie zurück.
»Komm nicht näher«, bat er, »es ist besser so. Wenn ich dich noch einmal umarme … kann ich das nicht zu Ende bringen.«
»Aber Alberto, ich wollte dich doch nur finden oder wenigstens herauskriegen, was dir passiert ist«, sprudelte es aus Vera
heraus. Sie verstand nicht, warum ihr Geliebter nun so reagierte. »Jetzt, wo du da bist, brauchen wir nur noch Teo zu finden.
Und du musst mir sagen, wie ich meinen Exmann loswerde. Das ist alles, und dann können wir …«
»Wenn es nur so einfach wäre«, unterbrach Hernán sie. »Wenn ich wüsste, wie ich dich von deiner Strafe erlösen kann, hätte
ich es schon längst getan. Und mein Schicksal hätte ich ebenfalls in die Hand genommen. Seit fast zehn Tagen bin ich hier
eingesperrt, Vera, zehn Tage ohne einen Windhauch von draußen. Ich konnte nur kurz entwischen, um euch … Na ja, das spielt jetzt keine Rolle mehr. Jetzt ist es zu spät.«
Vera trat noch ein paar Zentimeter näher. Sie war außerstande, einfach so hinzunehmen, was er da sagte. Alberto wich vor ihr
zurück, als wären sie zwei gleichpolige Magneten.
»Was soll das?«, fragte sie.
»Es tut mir leid, Vera, aber ich habe zu viele Jahre meines Lebens in diese Sache gesteckt, um zuzulassen, dass durch meine
Schuld alles den Bach runtergeht. Ich konnte nicht anders handeln. Ich wünschte nur, ich hätte euch nachdrücklicher warnen
können.«
»Aber, Schatz …«
Alberto kehrte ihr den Rücken zu.
»Nenn mich nicht so. Ich bin nur gekommen, weil es mir befohlen wurde.«
»Und was genau hat man dir befohlen?« Veras Stimme klang auf einmal rau und verächtlich.
»Ich soll euch zu den anderen bringen«, sagte Alberto mit der gebrochenen Stimme eines Mannes, der seinen Kummer unterdrückt.
Damit ging er voraus. Keiner der drei bewegte sich. Nach wenigen Schritten blieb er stehen.
»Wenn ihr mir folgt, werdet ihr Antworten bekommen«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Wenn nicht, werden sie euch töten, bevor
ihr den Turm verlassen könnt.«
Zac runzelte die Stirn. Wer sollte sie denn umbringen? Aufden unteren Stockwerken war niemand mehr. Alberto Hernán warf einen Blick über die Schulter und musterte die drei. Vera fiel
ein, was sie bei der Begegnung mit Hugo empfunden hatte. Es war nicht ganz das Gleiche, aber auch Alberto glich nicht mehr
dem Mann, den sie gekannt hatte. Gekannt und geliebt. Er öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen.
»Wollt ihr Teo etwa hierlassen?«
Isabel zuckte zusammen, als hätte ihr jemand eine Nadel in die Haut gestochen. Das bestätigte ihre Vermutungen. Teo war ganz
in der Nähe.
»Wo ist er?«, rief sie. »Wo habt ihr meinen Bruder?«
Sie ging auf Alberto Hernán zu, doch Vera hielt sie auf und wandte sich ihrerseits noch einmal an Alberto.
»Was ist mit dir passiert, Alberto? Ich habe auch leiden müssen, aber ich bin dadurch kein böser Mensch geworden. Und du bist
das auch nie gewesen.«
»Du hast Glück gehabt, Vera«, gab er zurück und hielt ihrem Blick stand. »Du hattest im Unternehmen wenig Verantwortung zu
tragen und musstest nie weitreichende Entscheidungen treffen. Aber ich freue mich. Ich hätte dir niemals eine Strafe wie die
meine gewünscht. Wenn du wüsstest, was das bedeutet – meine Familie nie wieder zu sehen, im obersten Stockwerk eines Gebäudes
eingeschlossen zu sein, mehrere meiner Freunde sterben zu sehen und noch mehr verschwinden –, dann wärst auch du jetzt ein anderer Mensch.«
»Aber was willst du denn mit all dem erreichen? Du … du hast gelitten wie ich, nicht wahr? Du hast deine Strafe erhalten, ich die meine, na schön, aber vielleicht finden wir
Vergebung und können noch mal von vorne anfangen.« Sie dachte an den letzten Satz der blonden jungen Frau, bevor das Monster
sie verschlungen hatte. »Du hast eine letzte Chance verdient, du bist immer ein guter Mensch gewesen.«
Alberto antwortete nicht. Er verharrte einige Sekunden lang schweigend und lauschte dem schweren Atem Veras, der
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