Der 26. Stock
anderen, die gespannt
auf die Geschichte warteten. O’Reilly fasste sich kurz: Teo sei gestürzt und habe eine Platzwunde am Kopf, mehr nicht. Die
meisten glaubten ihm. Manchmal hatte er ja Schwierigkeiten beim Laufen, da konnte er wohl mal gestolpert sein.
Als O’Reilly nach unten fuhr, um den Arzt abzuholen, musste er den Wachleuten erklären, was geschehen war. Nichts Besonderes.
Einer seiner Angestellten, ein Tollpatsch, habe sich den Kopf angeschlagen. Den Arzt, sagte er, habe er nur zur Sicherheit
herbestellt – so zahlte sich wenigstens die sündteure Versicherung aus, die seine Firma abgeschlossen hatte. Die Wachmänner
ließen den Arzt und einen Sanitäter widerspruchslos passieren. Oben fanden sie Teo schlafend in Dolores’ Armen. Der Arzt weckte
ihn auf und untersuchte ihn. Als er die Diagnose stellte, atmete O’Reilly auf. Die Kopfverletzung war trotz des vielen Blutes
nur oberflächlich. O’Reilly bekam zu hören, was er hören wollte: kein Grund zur Sorge. Dann packte der Arzt seine Sachen zusammen.
»Doktor«, rief Dolores in diesem Moment, »Doktor, er ist bewusstlos gewesen.«
Der Arzt runzelte die Stirn und stellte seine Tasche zurück auf den Tisch.
»Tatsächlich?« Er drehte sich zu O’Reilly um. »Warum haben Sie mir das nicht gesagt?«
»Äh …«, stammelte O’Reilly und begann zu erklären, was passiert war. Nur Teos Halluzination überging er erneut. Zum Glück sagte
Dolores wenigstens dazu nichts.
»Ich glaube, das Beste wird sein, wenn er jetzt so schnell wie möglich nach Hause kommt«, meinte der Arzt. »Er hat mehrmals
gesagt, dass er seine Schwester sehen will. Sollte sich dasGanze wiederholen, geben Sie mir Bescheid, dann führen wir eine eingehendere Analyse durch.«
O’Reilly nickte. Zwanzig Minuten später fuhren er und Teo Richtung Norden zu dem Haus, in dem der Junge wohnte. Seine Männer
hatten hastig den Aufzug gereinigt, und keiner der Wachleute von der Nachtschicht hatte sich allzu sehr für die Angelegenheit
interessiert. Die Unternehmensleitung würde nichts davon erfahren – vor allem nicht von der angeblichen Frau im Spiegel. O’Reilly
schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf den Verkehr. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn Teos Geschichte sich
zu einem Gerücht auswuchs. Das Frauengespenst … Sonst würde O’Reillys Reinigungsfirma die Konsequenzen tragen müssen. Er musste nur noch sicherstellen, dass auch der Junge
nicht hinausposaunte, was ihm seine Phantasie da vorgegaukelt hatte.
»Hör mal, mein Junge …«, begann O’Reilly, während er die Ausfahrt nahm, die Teo ihm genannt hatte. Er wusste, dass er seine Worte sorgsam wählen
musste. Er wollte den Jungen nicht verletzen. Teo hatte sich von Anfang an sehr bemüht, gute Arbeit zu leisten, und was er
gerade erlebt hatte, konnte für ihn nicht angenehm gewesen sein. Womöglich hatte er gar nicht halluziniert. Es konnte doch
auch sein, dass er sich die Geschichte nur ausgedacht hatte, um sein Missgeschick im Aufzug zu entschuldigen, weil er befürchtete,
man könnte ihn deswegen entlassen. Teo zeigte mit dem Finger auf ein Gebäude, und O’Reilly hielt.
»Also, Teo, ich würde gerne mit dir raufkommen, nur kurz, wenn es dir nichts ausmacht.«
»Aber meine Schwester schläft bestimmt schon.«
»Ja, ich weiß.« O’Reilly war nicht wohl in seiner Haut. Während der Fahrt hatte Teo die ganze Zeit auf seine Knie gestarrt
und kaum etwas besprochen. Er wirkte missmutig und in Gedanken vertieft. »Wir sollten sie aufwecken und ihr erzählen, was
passiert ist. Ich glaube, du weißt schon, dass das, was du uns erzählt hast, so nicht geschehen sein kann. Ich sage damit
nicht, dass du lügst. Du bist ein guter Junge. Ich will nur sagen, dass duvielleicht, äh, so eine Art Halluzination gehabt und dir die Sache eingebildet hast.«
Teo hatte gehört, wie O’Reilly und der Arzt miteinander gesprochen hatten. Er wusste sehr wohl, was er gesehen hatte, aber
niemand glaubte ihm. Trotzdem nickte er.
»Also gut«, sagte O’Reilly. »Deine Schwester wird sicher erschrecken, wenn sie dich jetzt sieht und erfährt, dass du dich
verletzt hast. Wenn du mich fragst, solltest du ihr nicht noch weitere Sorgen machen und ihr erzählen, was … also, was du dir da ausgedacht hast.«
Teo nickte erneut. Er hatte das Gefühl, dass jede andere Reaktion seinen Chef nur verärgert hätte, und dann hätte man ihm,
Teo, die Schuld für den
Weitere Kostenlose Bücher