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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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auf dem »Nothalt« stand. Teo betätigte beide Knöpfe mehrmals, doch nichts geschah. Ihm wurde
     schwindlig. Er hatte den Eindruck, dass die Stockwerke immer rascher aufeinander folgten, als würde der Lift niemals zum Stehen
     kommen, sondern in einem Höllentempo auf das Dach des Gebäudes zurasen, um dann die Decke zu durchstoßen und ihn ins Leere
     stürzen zu lassen. Teo merkte, wie ihm die Beine schlotterten. Er fing an zu schreien:
    »Hilfe! Hilfe!«
    Der Aufzug wankte, und je schneller er würde, desto heftiger ächzte und knarzte er. Teos Körper fühlte sich ganz leicht an.
    »Helft mir doch!«
    Nichts. Teo wusste, dass die Aufzugtüren aus schwerem, brandfestem Material waren, auch das hatte er in der Schule gelernt.
     Vielleicht konnte ihn ja niemand hören. Er kramte in seinen Taschen, obwohl er wusste, dass er das Handy im Rucksack gelassen
     hatte. Und der lag unten im Bus. Da brach Teo in Tränen aus. Isabel war nicht da, und auch sonst konnte ihm niemand helfen.
     Wenn der Aufzug kaputt war und in die Tiefe stürzte, dann würde er sterben und seine Schwester nie wiedersehen. Sie würde
     alleine auf der Welt zurückbleiben. Teos Beine versagtenihm den Dienst, und er stieß mit dem Kopf gegen den Spiegel. Er rollte sich auf dem Boden zusammen und weinte weiter. Bestimmt
     blieben nicht mehr viele Stockwerke bis zum Dach. Teo überfiel ein furchtbares Schwindelgefühl. Fast hätte er sich übergeben.
    Er wurde gegen eine Seitenwand geschleudert. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn, und als er sich an den Kopf fasste, fühlte
     er etwas Nasses auf der Hand. Erschrocken stellte er fest, dass da warmes Blut hinunterlief, doch auf einmal machte ihm das
     nichts mehr aus. Der Aufzug war zum Stehen gekommen. Er war nicht abgestürzt. Wo war er? Auf der Anzeige blinkte eine Ziffer
     und zeigte an, dass er eines der obersten Stockwerke erreicht hatte. Hier war er noch nie gewesen. So hoch oben.
    Teo wischte sich die Hand am Overall ab. Zwischen den Beinen war der Stoff unangenehm feucht. Er hatte in die Hose gemacht.
     Aber das würde ihm niemand vorwerfen können, wenn er gefunden wurde. Jeder hätte eine Heidenangst gehabt. Er rappelte sich
     auf. Noch immer zitterten ihm die Knie. Er stützte sich an der Seitenwand ab, drehte sich zur Tür und rief um Hilfe. Die Kollegen,
     die dieses Stockwerk reinigten, mussten ihn doch gehört haben. Teo hielt den Atem an und wartete einen Moment still, aber
     niemand antwortete. Er starrte die Tür an. Eigentlich hätte sie jetzt aufgehen müssen, aber das tat sie nicht. Mit zitternden
     Fingern packte er seine I D-Card , schob sie erneut in den Schlitz und drückte nacheinander mehrere Knöpfe zu den unteren Etagen. Auch das blieb ohne Wirkung.
     Teo überkam allmählich ein beklemmendes Gefühl, wie wenn seine Schwester nach dem Gutenachtkuss versehentlich die Zimmertür
     zumachte. Die Wände des Aufzugs schienen sich auf ihn zuzubewegen, und die Kabine wurde immer kleiner; dabei bebte sie fast
     unmerklich. Teo wollte schon wieder um Hilfe schreien, doch bevor er den Mund aufmachen konnte, wurde es um ihn herum dunkel:
     Die drei Neonröhren über seinem Kopf waren ausgefallen. Auch die Lämpchen an der Steuerungsleiste waren weg. Und doch konnte
     er noch immer die Metalltür des Aufzugs sehen. Es war also nichtganz dunkel geworden. Irgendetwas hinter ihm warf noch ein schummeriges Licht.
    »Teo   …«
    Als er seinen Namen hörte, spürte er, wie seine Muskulatur sich versteifte.
    »Teo   …«
    Ganz langsam drehte er sich um, um zu sehen, wer da rief. Einige Sekunden lang wusste sein Herz nicht, ob es weiterschlagen
     oder stehen bleiben sollte. Was Teo sah, ließ ihn erstarren. Sämtliche Lichter im Aufzug waren erloschen – außer im Spiegel.
     Darin sah er sich in der Kabine stehen. Blut lief ihm über die rechte Schläfe. Er wandte den Blick zur Seite, und sein Gegenüber
     im Spiegel tat es ihm gleich. Neben dem Teo, den er vor sich hatte, stand eine Frauengestalt, eine blasse, hochgewachsene
     Frau, deren Gesicht zur Hälfte von langem, goldenem Haar verdeckt war. Teo fand sie sehr schön. Sie trug ein weißes Kleid,
     das wie ein Hochzeitskleid aussah. Schnell sah Teo sich in der Kabine um. Neben ihm stand niemand, da war alles dunkel. Und
     doch war da noch immer diese Frau an der Seite von Teos Spiegelbild und sah ihm in die Augen. Zum dritten Mal rief sie ihn
     beim Namen:
    »Teo, sei vorsichtig   …«
    Die Stimme der Frau brach ab, doch

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