Der 3. Grad
eingeschränkt in seiner Sicht der Dinge. Anfangs hat er mich nur ein bisschen fest angepackt, hier an den Schultern zum Beispiel. Und dann hat er so getan, als sei es keine Absicht gewesen. Ein- oder zweimal hat er auch mit Sachen um sich geworfen, wenn er einen Wutanfall hatte. Einmal war es meine Handtasche, ein anderes Mal, daran erinnere ich mich noch genau« – sie fing an zu lachen –, »dieses fette Stück Asiago-Käse.«
»Aber warum?« Cindy schüttelte ungläubig den Kopf. »Warum springt er so mit dir um?«
»Weil ich eine Rechnung zu spät bezahlt hatte. Weil ich teure Schuhe gekauft hatte, als wir beide gerade erst anfingen, Geld zu verdienen, und entsprechend knapp bei Kasse waren.« Sie zuckte mit den Achseln. »Weil er es konnte.«
»Das geht schon so, seit wir uns kennen?«, fragte ich fassungslos.
Jill schluckte. »Ich war wohl nicht ganz offen zu euch, hm?« Die Bedienung hatte uns Quesadillas gebracht, und im Hintergrund lief ein Shania-Twain-Song. »Siehst ja fast so aus, als wolltet ihr mich bestechen.« Sie tunkte eine Quesadilla in die Guacamole und lachte. »Neue Verhörmethode. ›Ja, ich weiß, wo Osama bin Laden sich versteckt, aber könnte ich bitte noch eins von diesen kleinen Käsedingern haben...‹«
Wir lachten. Jill verstand es stets, uns zum Lachen zu bringen.
»Es sind nie die wirklich wichtigen Dinge«, sagte Jill. »Meistens dreht es sich um irgendwas ganz Banales. In den entscheidenden Fragen habe ich ehrlich das Gefühl, dass wir als Partner durchs Leben gehen. Wir haben schon einiges zusammen durchgemacht. Aber die kleinen Dinge... Ich nehme eine Essenseinladung von Leuten an, die er nicht leiden kann. Ich vergesse, der Haushälterin zu sagen, dass sie seine Hemden zum Waschen mitnehmen soll. Er gibt mir das Gefühl, ein dummes kleines Mädchen zu sein. Absolut gewöhnlich.«
»Du bist alles andere als gewöhnlich«, sagte Claire.
Jill wischte sich die Augen und lächelte. »Mein Fanclub... Ich könnte den Kerl abknallen, und ihr würdet noch meine Treffsicherheit loben.«
»Über die Möglichkeit haben wir schon gesprochen«, sagte Claire.
»Wisst ihr, ich habe tatsächlich schon darüber nachgedacht.« Jill schüttelte den Kopf. »Wer eigentlich beim Prozess gegen mich den Vorsitz führen würde. O je, ich fürchte, jetzt bin ich ein bisschen zu sehr ins Melodramatische abgeglitten.«
»Wozu würdest du einer Frau raten, die mit dem gleichen Problem zu dir käme? Ich meine jetzt die Staatsanwältin Jill, nicht die Ehefrau. Was würdest du ihr sagen?«
»Ich würde ihr sagen, dass sie ihm einen Prozess an den Hals hängen soll, und zwar so schnell, dass er nicht mehr dazu kommt, sich den Schlips gerade zu rücken«, sagte sie und lachte. Eine nach der anderen stimmten wir ein.
»Du sagst, du brauchst noch ein bisschen Zeit«, sagte ich zu Jill. »Wir sind nicht hier, um dir vorzuschreiben, dass du auf der Stelle dein Leben umkrempeln sollst. Aber ich kenne dich. Du bleibst bei ihm, weil du glaubst, dafür verantwortlich zu sein, dass diese Ehe funktioniert. Ich will, dass du mir etwas versprichst, Jill. Es muss nicht erst so weit kommen, dass er mit Fäusten auf dich losgeht. Noch
ein
solcher Vorfall, und ich komme und packe eigenhändig deine Sachen. Du kannst zu mir ziehen, zu Claire, zu Cindy ... Na ja, vergiss Cindy mit ihrer Bruchbude... Aber du hast alle Möglichkeiten, Schätzchen. Versprich mir eins: Wenn er dich das nächste Mal auch nur
bedroht
, bist du weg.«
Da war plötzlich dieses Strahlen in Jills Gesicht, dieser Glanz in ihren klugen blauen Augen. Irgendwie fand ich, dass sie noch nie so gut ausgesehen hatte. Ihre Ponyfransen kräuselten sich leicht über den Augen.
»Versprochen«, sagte sie schließlich und lächelte errötend.
»Wir meinen es ernst«, hakte Cindy nach.
Jill hob die Hand. »Großes Indianerinnen-Ehrenwort, wie damals bei den Pfadfinderinnen. Wenn ich meinen Schwur breche, soll ich ganz viele dicke fette Pickel im Gesicht kriegen.«
»Das dürfte genügen«, meinte Claire.
Jill fasste unsere Hände in der Mitte des Tischs. »Ich hab euch gern, Mädels, wisst ihr das?«
»Wir dich auch, Jill.«
»So, können wir jetzt vielleicht endlich mal bestellen?«, sagte sie. »Ich komme mir vor wie bei meinem allerersten Auftritt vor Gericht. Ich habe einen Bärenhunger!«
36
Vielleicht lag es daran, dass ich nicht geschlafen hatte – die ganze Nacht hatte ich mich ruhelos hin und her gewälzt, weil dieser Dreckskerl von
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