Der 3. Grad
auf.
Ich wandte mich ab. So wollte ich Jill wirklich nicht sehen.
»Ich führe eine Standard-Sternotomie durch«, diktierte Claire in das Mikro. »Öffne den Brustraum. Lungenmembran weich, Gewebe... zersetzt, breiig... Ich lege nun das Pericardium frei ...« Ich hörte, wie Claire tief Luft holte. »
Scheiße
.«
Mein Herz begann zu rasen. Ich starrte auf den Bildschirm. »Claire, was ist denn? Was siehst du da?«
»Bleib da, wo du bist.« Sie hob die Hand. Sie musste etwas Entsetzliches gesehen haben. Aber was?
»Oh, Lindsay«, flüsterte sie und sah mir endlich in die Augen. »Jill ist nicht an einer Schussverletzung gestorben.«
»
Was?!
«
»Die fehlende Schwellung, der geringe Blutverlust.« Sie schüttelte den Kopf. »Der Schuss wurde erst abgefeuert, als sie schon tot war.«
»Was sagst du da, Claire?«
»Ich bin mir nicht sicher« – sie blickte auf –, »aber wenn ich raten müsste... würde ich auf Rizin tippen.«
70
Es hatte immer etwas Einschüchterndes, wenn man Charles Danko persönlich begegnete. Selbst in einem Nobelhotel wie dem Huntington in San Francisco. Danko machte überall eine gute Figur. Heute trug er ein Tweedsakko, ein Nadelstreifenhemd und eine Seidenripskrawatte.
Und er hatte ein Mädchen mitgebracht – hübsch, mit wuscheligem rotem Haarschopf. Er liebte nun mal solche Überraschungen.
Man hatte Malcolm gesagt, er solle ein Jackett anziehen und am besten auch eine Krawatte, falls er eine auftreiben könne. Das war ihm auch gelungen, und er fand sie irgendwie ganz witzig – knallrot, mit einem Muster aus kleinen Posthörnern. Danko erhob sich förmlich und schüttelte Malcolm die Hand – auch so eine seiner befremdlichen, unangenehmen Angewohnheiten. Er machte eine ausladende Geste, die den ganzen Speisesaal umfasste. »Kann man sich einen sichereren Treffpunkt vorstellen? Du liebe Zeit – das
Huntington
!«
Er sah das Mädchen an, und sie lachten beide; doch er stellte sie nicht vor.
»Rizin«, sagte Malcolm, »das ist
genial
. Was für ein fantastischer Tag – wir haben Bengosian erwischt! Wir können hier verdammt viel Schaden anrichten. Mann, wir könnten dieses ganze Kapitalistennest hier in einer Minute ausräuchern. Und dann zum Mark rübergehen und noch mal hundert reiche Blutsauger wegputzen. Oder in die Straßenbahn steigen und jedem, an dem wir vorbeifahren, den Tod bringen.«
»Ja, erst recht, seit ich eine Möglichkeit entdeckt habe, es als Konzentrat herzustellen.«
Malcolm nickte, doch er wirkte nervös. »Ich dachte, es geht um den G-8-Gipfel?«
Danko sah wieder das Mädchen an. Die beiden lächelten herablassend.
Wer ist sie eigentlich, verdammt noch mal? Was weiß sie?
»Du hast eine zu eingeschränkte Sichtweise, Mal. Darüber haben wir uns doch schon mal unterhalten. Es geht uns in erster Linie darum, die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen. Und wir werden ihnen eine Heidenangst einjagen, das kannst du mir glauben. Das Rizin ist genau das Richtige dafür. Im Vergleich dazu erscheint Anthrax wie etwas, worüber nur Kühe und Hühner sich Sorgen machen müssen.«
Er sah Malcolm eindringlich an. »Du hast etwas, womit ich es ausbringen kann? Das Rizin?«
Malcolm wich seinem Blick aus. »Ja.«
»Und noch mehr von deinem Sprengstoff?«
»Wir könnten das ganze Huntington dem Erdboden gleichmachen. Und das Mark noch dazu.« Jetzt erlaubte Malcolm sich doch ein verlegenes kleines Lächeln. »Okay, und wer ist
sie
eigentlich?«
Danko warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Sie ist ein ganz kluger Kopf, genau wie du. Sie ist eine Geheimwaffe. Belassen wir es dabei. Nur eine weitere Soldatin«, sagte er, und dann sah er dem Mädchen in die Augen. »Es wird immer neue Soldaten geben, Malcolm. Das ist es, wovor sie alle im Moment am meisten Angst haben sollten.«
71
Michelle hörte Stimmen im Nebenzimmer. Mal war gerade von seinem Treffen zurückgekommen. Julia stieß ein wildes Jubelgeheul aus, als hätte sie gerade im Lotto gewonnen. Aber Michelle war furchtbar elend zumute.
Sie wusste, dass sie und die anderen schreckliche Dinge getan hatten. Bei dem letzten Mord hatte sie ein ganz schlechtes Gefühl. Diese hübsche, unschuldige Staatsanwältin. Michelle hatte das Bild von Charlotte Lightower und der Haushälterin verdrängt, die bei der Explosion ums Leben gekommen waren, und sie war erleichtert gewesen, dass wenigstens die Kinder gerettet worden waren. Lightower, Bengosian – das waren habgierige Schweine, die es nicht besser
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