Der 3. Grad
dachte ich:
Aber wenn es nun Jill ist?
Hastig griff ich nach dem Hörer und vernahm Cindys Stimme. »Lindsay, Gott sei Dank. Es ist etwas Schlimmes passiert.«
Sofort krampfte sich alles in mir zusammen. Ich klammerte mich an Molinari. »Jill?«
»Nein«, antwortete sie. »August Spies.«
67
Mit flatterndem Herzen und einem flauen Gefühl im Magen hörte ich zu, als Cindy mir die neueste Botschaft vorlas. »›Wir haben Sie gewarnt‹, steht da. ›Aber Sie waren arrogant und wollten nicht hören. Das hat uns nicht weiter überrascht. Sie haben ja noch nie zugehört. Also haben wir wieder zugeschlagen.‹ Lindsay, die Mail ist unterschrieben mit August Spies.«
»Es hat wieder einen Mord gegeben«, sagte ich zu Molinari. Dann wandte ich mich wieder Cindy zu.
In dem ausführlichen Bekennerschreiben ließen die Täter uns wissen, dass wir das, was wir suchten, in der Harrison Street Nr. 333 finden würden, im Hafen von Oakland. Es waren
exakt
drei Tage vergangen, seit Cindy die erste E-Mail erhalten hatte. August Spies machte seine Drohungen wahr.
Sobald ich aufgelegt hatte, rief ich in der Zentrale des Krisenstabs an. Ich wollte unsere Leute vor Ort haben; alle Zufahrten zum Hafen von Oakland sollten gesperrt werden. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, mit welcher Art von Verbrechen wir es zu tun hatten oder wie viele Menschenleben betroffen waren. Also rief ich Claire an und bestellte sie ebenfalls nach Oakland.
Molinari hatte schon die Jacke an und telefonierte. Ich brauchte etwa eine Minute, dann war ich fertig zum Gehen. »Komm«, sagte ich an der Tür, »du kannst bei mir mitfahren.«
Mit heulender Sirene rasten wir die Third Street hinunter in Richtung Brücke. Um diese späte Stunde war so gut wie niemand unterwegs. Als wir die Bay Bridge überquerten, hatten wir die Straße fast für uns allein.
Über Funk kamen die ersten Meldungen. Die Polizei von Oakland hatte den Notruf entgegengenommen. Molinari und ich hörten aufmerksam zu, um herauszufinden, was uns am Tatort erwartete: Feuer, eine Explosion, zahlreiche Verletzte?
Von der Brücke schoss ich auf die 880 und nahm die Ausfahrt zum Hafen. Die Polizei hatte bereits eine Straßensperre errichtet – zwei Streifenwagen mit blinkenden Warnlichtern. Wir hielten an. Ich sah Cindys lila VW; sie hatten sie gestoppt. Jetzt diskutierte sie gerade mit einem der Polizisten.
»Steig ein!«, rief ich ihr zu. Molinari hielt einem jungen Streifenpolizisten seine Dienstmarke hin. Dem Burschen fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Sie gehört zu uns.«
Von der Ausfahrt war es nicht mehr weit bis zu den Docks. Die Harrison Street zweigte direkt von der Mole ab. Cindy erzählte mir, wie sie die E-Mail erhalten hatte. Sie hatte einen Ausdruck mitgebracht, den Molinari während der Fahrt durchlas.
Als wir uns der Hafeneinfahrt näherten, sah ich überall blitzende grüne und rote Lichter. Es sah aus, als hätte sich die gesamte Polizeitruppe von Oakland hier versammelt. »Okay, wir lassen den Wagen hier stehen.«
Wir stiegen alle drei aus und liefen auf ein altes Lagerhaus aus Backstein zu, das die Nummer 333 trug. Gerüstbrücken ragten in den Nachthimmel auf. Überall stapelten sich riesige Container. Im Hafen von Oakland wurde schließlich der größte Teil des Frachtverkehrs in der Bay Area abgewickelt.
Ich hörte, wie jemand meinen Namen rief. Es war Claire; sie sprang aus ihrem Pathfinder und kam auf uns zugelaufen. »Was ist denn passiert?«
»Das weiß ich noch nicht«, erwiderte ich.
Da sah ich einen Revierchef der Polizei von Oakland, mit dem ich schon einmal zu tun gehabt hatte, aus dem Gebäude treten. »Gene!« Ich rannte auf ihn zu. In Anbetracht der Lage konnte ich mir lange Fragen und Erklärungen sparen.
»Das Opfer liegt oben im ersten Stock«, erklärte er. »Ein einziger Schuss in den Hinterkopf.«
Ich fuhr unwillkürlich zusammen, aber irgendwie war ich auch erleichtert. Wenigstens nur
ein
Opfer.
Molinari und ich stiegen die Metallstufen hinauf, gefolgt von Cindy und Claire. Ein Oakland-Cop versuchte uns aufzuhalten, doch ich hielt ihm meine Marke unter die Nase und stürmte vorbei. Da lag jemand am Boden, teilweise eingehüllt in eine blutige Segeltuchplane. »Verdammt«, stieß ich hervor. »Diese Schweine.« Zwei Cops und ein Notarztteam beugten sich über das Opfer.
Ein Zettel war mit einem Stück Draht an der Plane befestigt. Ein Frachtbrief. »›Wir haben Sie gewarnt‹«, las ich laut vor. »›Der Verbrecherstaat ist von
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