Der 50-50 Killer
Ellbogen auf Scotts Knie. Er war nie mit ihm hier in der Wohnung gewesen. Der Mann war eine Erinnerung an jenen andern Ort, das Steingebäude, wo er ihm so schrecklich wehgetan hatte. Als die Nacht verstrichen war, schien er fähig, in jeden Gedanken und jede Erinnerung von Scott einzudringen.
Fünf Minuten nach sechs.
Der Druck auf seine Beine war vertraut, genauso wie die Dinge, die der Mann immer wieder sagte. Im Traum verdrehte sein Bewusstsein die Erinnerungen aus dem Steinhaus und sah sie wie durch einen Filter, dessen Gewebe immer dünner wurde.
»Ich bin nicht hier?«, sagte der Mann und schaute nach rechts und links, bevor er ihn wieder ansah. »Sag mir, wo wir sind.«
»In meinem Wohnzimmer.«
»Zu Hause?«
»Ja.«
»Wo du mit Jodie wohnst?«
Scott sagte nichts, weil ihm einfiel: Jodie – wo war sie? Es war zwanzig nach sechs. Sie hätte jetzt von der Arbeit zurück sein sollen. Er warf einen Blick nach rechts und sah, dass das Wohnzimmerfenster offen stand und die Vorhänge sich leicht bewegten. Eine Sekunde später spürte er einen eiskalten Luftzug und fing an, heftig zu zittern.
Jodie war im Moment nicht da, und er sagte sich, er solle nicht darüber nachdenken. Sie war einfach irgendwo anders in der Wohnung.
»Schon gut.« Der Mann hatte seine Verwirrung bemerkt.
»Sie ist im Zimmer nebenan, oder?«
Er überlegte und nickte dann langsam. Ja, das stimmte, Jodie hatte sich hingelegt. Sie war von der Arbeit gekommen und hatte so traurig ausgesehen, dass er sie gleich gefragt hatte, was los sei. Nichts, hatte sie gesagt, ihre Handtasche auf den Stuhl geworfen und sich neben ihm auf die Couch fallen lassen. Da hatte er versucht, es aus ihr herauszubekommen. ’n schlechten Tag gehabt? Willst du darüber reden? Nein, wollte sie nicht, und sie hatten einfach eine Weile dagesessen.
»Sie schläft«, sagte er.
Der Mann mit der Teufelsmaske neigte den Kopf.
»Ihr habt euch gestritten.«
»Nein.«
»Doch, aber du merkst es nicht.«
Scott schüttelte den Kopf, aber dann war er sich doch nicht sicher. Vielleicht hatte der Mann recht. Er konnte sich nur daran erinnern, dass sie dagesessen hatte, und wie so oft hatte er weder die richtige Geste noch das richtige Wort gefunden. Vielleicht hatte er sich so frustriert und machtlos gefühlt, dass er nicht nur nicht das Richtige, sondern letzten Endes sogar das Falsche gesagt hatte.
Das kam zu oft vor. Aber sie war so unglücklich! Und es machte ihn rasend, dass er anscheinend nichts machen konnte. Ihre Launen waren nicht von ihm zu beeinflussen. Sie kam bedrückt nach Hause, doch er konnte nichts tun. Am nächsten Tag das Gleiche und am übernächsten wieder. Jeder Tag glich dem anderen.
»Ist schon gut«, beruhigte ihn der Mann. »Das passiert eben manchmal.«
»Nein.«
Die Vorhänge bewegten sich wieder. Der Druck auf seine Knie wurde stärker, als der Mann sich vertraulich vorbeugte.
»Warum ist sie dann da drin?«, fragte er.
»Sie hat einen schlechten Tag gehabt.«
»Sie ist unglücklich. Weißt du, warum?«
Scott schüttelte den Kopf. Er wünschte, er wüsste es. Wenn er wüsste, was los war, dann könnte er etwas tun, um es zu ändern, und versuchen, sie wieder glücklich zu machen. Er würde absolut alles tun, wenn er nur wüsste, wie er ihr helfen konnte.
»Soll ich es dir sagen?«, fragte der Mann.
»Ja.«
»Weißt du noch, wie wir darüber gesprochen haben, dass sie in diesem schmuddeligen kleinen Hotel mit Kevin Simpson geschlafen hat?«
»Ja.«
»Das hat damals wehgetan. Aber jetzt bist du drüber weg, oder?«
Er nickte langsam.
In der Zeit danach war es ihm vorgekommen, als würde es nie wieder eine einzige Minute geben, in der er nicht daran dachte, ganz zu schweigen von einem ganzen Tag oder einer Woche. Aber dann war diese Minute doch gekommen. Und dann der Tag und dann die Woche. Jetzt dachte er kaum noch daran.
»Meinst du nicht, dass sie auch drüber weg ist?«, sagte der Mann.
Scott sah ihn nur an.
»Damals warst du gekränkt. Jetzt ist das verblasst. Und für sie ist es genauso. Als es passiert ist, hatte sie so ein schlechtes Gewissen, dass sie bereit war, alles aufzugeben, für das sie gearbeitet hatte, nur um ihre Beziehung mit dir zu retten. Und weil die Schuldgefühle verblasst sind, bereut sie diese Entscheidung.«
Scott schüttelte den Kopf.
»Nein.«
Der Mann sagte: »Ob es dir gefällt oder nicht, sie fühlt sich nicht mehr schuldig. Sie hasst sich nicht. All das ist vorbei. Aber die Wahl, die sie
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