Der 50-50 Killer
Spinnennetz, wie es aussah.
»Aber …«
»Es ist okay«, sagte der Mann wieder. »Wir erklären Ihnen alles später. Die Hauptsache ist, dass Sie jetzt in Sicherheit sind.«
Jodie sah zu ihm auf. Er war alt und vertrauenswürdig, aber sie hatte noch nie einen Menschen gesehen, der so müde aussah. Fast schon gequält. Einen kurzen Moment war ihr merkwürdig zumute, und es kam ihr vor, als sei er jede einzelne Minute der Nacht hier bei ihr gewesen. Abgesehen von der Erschöpfung war sein Gesichtsausdruck fast väterlich. Und da war noch etwas. Er wirkte erleichtert, aber nicht nur das. Er sah friedlich aus. Sie ließ sich einfach wieder gegen ihn fallen. Im Augenblick war das einfacher.
Er nahm sie sanft in den Arm und flüsterte: »Wir haben Sie gefunden.«
4. Dezember
32 Minuten bis Tagesanbruch
6:48 Uhr
Mark
Panik.
Bevor ich meine Gedanken und Einfälle richtig in irgendeine sinnvolle Ordnung bringen konnte, hatte ich das Bild mit den Suchtrupps im Wald schon maximiert und Alarm ausgelöst. Ich wusste nur, dass ich dringend mit jemandem sprechen musste. Da war wieder dieses Gefühl, dass etwas nicht stimmte, nur war es jetzt hundertmal stärker und ging in eine ganz andere Richtung.
Ich wartete.
Im Büro war es unerträglich heiß und eng. Wahrscheinlich war es die ganze Zeit so gewesen, aber jetzt kam es mir zum ersten Mal richtig bedrohlich vor. Die Neonlampen summten, und das laute Klicken in den Rohren schreckte mich immer wieder auf. Ich dachte an all die Leute, die im Krankenhaus arbeiteten, und wie weit weg sie waren. Ich war hier unten allein, am Ende langer, leerer Korridore, die mit schmutzigen Plastikplanen verhängt waren. Ich sah mehrfach über die Schulter und kontrollierte die Ecken und die Tür.
Es dauerte eine Minute, bis Bates vor der Kamera erschien. Er sah müde, aber auch erhitzt und aufgeregt aus, und er sprudelte los, bevor ich irgendetwas sagen konnte: »Sir, sie haben sie gefunden.«
Ich nahm das einerseits zur Kenntnis, ging andererseits darüber hinweg.
»Ist Hunter da?«
»Er ist in die Abteilung zurückgefahren. Er ist nicht erfreut.«
»Hören Sie mir gut zu. Sie müssen die Männer dort verlegen. Ich will, dass Sie die Absperrkette an der Straße wieder aufstellen.«
Er runzelte die Stirn, dachte vielleicht, ich hätte ihn missverstanden.
»Aber sie haben ihn. Detective Mercer hat es uns aus dem Wald gefunkt. Das Mädchen ist dort, und sie haben den Kidnapper. Warum brauchen wir die Absperrkette?«
»Weil ich es Ihnen sage.« Ich sah auf die Karte. »Tun Sie es, jetzt gleich. Nach Osten und Westen, so weit wie möglich. Ich übernehme die Verantwortung dafür. Sie müssen sicherstellen, dass niemand sonst aus dem Wald herauskommt. Tun Sie das jetzt und melden sich dann wieder.«
»Ja, Sir.«
Und nennen Sie mich nicht immer Sir. Doch er war schon weg, wahrscheinlich hatte ihn der scharfe Ton in meiner Stimme angespornt.
Es war merkwürdig: Ich spürte die Panik in mir, aber an der Oberfläche war ich ruhig und stellte praktische Überlegungen an. Mein Verstand hatte fürs Erste die Führung übernommen.
Du musst die Dinge durchdenken, sagte er mir.
Tief atmen.
Schwimm mit aller Kraft.
Und dreh der Scheißtür nicht den Rücken zu.
Wenigstens hatten sie sie gefunden, das war schon mal was. Auf jeden Fall würden Scott und Jodie beide die Nacht überleben, und das war sicherlich die Hauptsache. Und sie hatten wahrscheinlich tatsächlich den Gesuchten erwischt. Es gab nichts, worüber man sich unbedingt Sorgen machen musste.
Aber wenn dem so war, würde es nicht schaden, die Absperrkette trotzdem aufzustellen. Ich blieb hartnäckig dabei, dass niemand anderem erlaubt werden sollte, diesen Wald zu verlassen, bis alles vorbei war. Niemandem. In Wirklichkeit war ich überhaupt nicht ruhig. Ich zitterte und fühlte mich, als täte sich ein riesiges Loch in meiner Brust auf. Es gab doch etwas, dessentwegen man besorgt sein sollte. Mochte man dieses Denken auch einen Sprung von A direkt nach D nennen. Mercer würde Verständnis dafür haben.
Ich warf einen Blick auf die Tür.
Scheiß drauf.
Die beste Methode, mit Angst fertig zu werden, ist, ihr direkt ins Gesicht zu sehen, es hinter sich zu bringen. Bates würde damit beschäftigt sein, die Absperrkette zu organisieren, also ging ich zur Tür hinüber, hielt aber vorsichtig inne, bevor ich auf den Korridor hinaustrat.
Niemand da. Die Lampen flimmerten immer noch und summten wie Wespen an der Decke.
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