Der 50-50 Killer
und der Wind spielte in ihrem Haar. Die Sonne schien, und er fühlte sich wunderbar. Es gab keine Kälte, jetzt nicht mehr. Jodie sah ihn an und lächelte, und als sie ihren Kopf an ihn schmiegte, nahm er ihre Hand.
Auch dies verblasste jetzt langsam. Er schloss die Augen und hörte zu, wie das Meer immer leiser wurde.
Und als Scott starb, rauschte es ihm leise zu: Schschsch.
4. Dezember
20 Minuten bis Tagesanbruch
7:00 Uhr
Mark
Ist es falsch, dass ich so dachte?
Während ich die Krankenhauskorridore entlangrannte und den Leuten zurief, sie sollten aus dem Weg gehen, hatte ich eigentlich keine Angst, obgleich ich unbewaffnet war. Obwohl ich jetzt, nachdem ich das Foto von Colin Barnes gesehen hatte, wusste, dass der Mann, mit dem ich die ganze Nacht gesprochen hatte, überhaupt nicht Scott Banks gewesen war.
Ich hatte keine Angst. Meine größte Sorge war nur, zu spät zu kommen, und wegen des Alarms glaubte ich, dass es wahrscheinlich schon zu spät war.
War das falsch? Da ich von all den anderen Menschen wusste, die der 50/50-Killer ermordet hatte, meinte ein Teil von mir, ich hätte an sie oder zumindest an meine Arbeit denken sollen. Ich würde gern glauben, dass ich tapfer und selbstlos meine Pflicht erfüllte. Dass ich nach oben rannte, um diesen Mann aufzuhalten, bevor er entwischte und noch jemanden verletzte.
In den Aufzug.
Mit dem Fuß tippte ich nervös auf den Boden: Komm schon, komm schon.
Ping. Durch die Türen hinaus – und schon lief ich weiter.
»Aus dem Weg.«
Die Wahrheit ist, ich rannte nicht aus Pflichtgefühl oder wegen seiner früheren oder zukünftigen Opfer die Korridore entlang. Sondern ich dachte ausschließlich an mein letztes Gespräch mit ihm – mit Scott beziehungsweise Carl Farmer, beziehungsweise Colin Barnes.
Ich erinnerte mich an seinen Gesichtsausdruck, als ich ihm von Lise erzählt hatte. Wie er mir gedankt hatte, als ich das Zimmer verließ. Ich dachte daran, dass er der Wolf des Weltalls war, dass er Beziehungen auseinanderriss und der Welt die Liebe stahl.
Vor allem hörte ich in meiner Vorstellung wieder jenes Geräusch, nicht das von seiner Aufnahme, sondern sein langsames Atmen, während ich mein Bekenntnis ablegte. Wie er zuhörte, als ich ihren Tod beschrieb und erklärte, dass ich glaubte, sie verraten zu haben. Als ob er sie seiner Ausbeute hinzufügte.
Er war nur ein Mensch – das wusste ich im Grunde. Genau wie ich wusste, dass das vierte Spinnennetz, das Mercer im Wald gefunden hatte, eigentlich nicht mich und Lise darstellen konnte. Wie sollte es? Er hatte alle Zeichnungen hinterlassen, bevor er mir begegnet war. Es war unmöglich.
Aber trotzdem, deshalb rannte ich so schnell. Denn wenn ich ihn jetzt nicht zu fassen bekam, war ich sicher, dass ich einen Teil meiner selbst für immer verlieren würde.
An der Tür zu seinem Zimmer standen eine Menge Leute herum – Schwestern, Ärzte und Krankenpfleger –, und alle sahen betroffen und verängstigt aus. Wahrscheinlich machte der Anblick, wie ich auf sie zustürmte, es nicht besser.
Kein Wachmann, stellte ich fest.
»Polizei.«
Sie traten etwas zur Seite, um mich durchzulassen.
»Wir wissen nicht, was passiert ist«, sagte einer der Pfleger.
»Eine Schwester hat ihn so gefunden.«
Ich versuchte durchzukommen.
»Machen Sie bitte Platz.«
Ich war wild entschlossen, ihn zu stellen, doch das sollte mich nicht unvorsichtig machen. In einiger Entfernung vom Eingang blieb ich stehen und versuchte, mir einen Überblick über das Zimmer zu verschaffen.
An der Tür kauerte eine Frau in Schwestertracht über jemandem, der auf dem Boden lag. Der Wachmann. Wo war Barnes? Das Bett war leer, das Bettzeug unordentlich zur Seite geworfen. Auf der anderen Seite des Zimmers stand das Fenster offen, die die ganze Nacht über geschlossenen Rollos waren jetzt halb hochgezogen. Kalte Luft wehte herein, und das Plastikrollo klapperte gegen die Scheiben.
Ich trat ein und sah schnell überall nach. Sonst war niemand im Raum. Es gab auch keinen Platz, wo sich irgendjemand hätte verstecken können. Er war weg.
Ich legte der Schwester die Hand auf die Schulter und ging neben ihr in die Hocke.
»Ich habe ihn gerade eben so gefunden«, sagte sie.
»Aha.«
Es war ihrer Stimme anzuhören, dass sie schon nach Lebenszeichen gesucht und keine gefunden hatte. Sie klang verwirrt.
»Würden Sie bitte kurz rausgehen?«, fragte ich so freundlich ich konnte. »Bitte warten Sie im Flur und sorgen Sie
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