Der 50-50 Killer
Haus selbst. Der 50/50-Killer hatte dieses Phantom erfunden. Der Name und die Wohnung waren nur Fluchtwege für ihn.
Ich stellte mir den Mörder vor, wie er zwischen den verschiedenen Verstecken, die er sich in der Stadt geschaffen hatte, hin und her pendelte und seine Identität abwarf wie eine Spinne ihre Haut. Das Haus auf dem Film war wie eine kleine Blase stinkender Luft an die Oberfläche unserer Welt heraufgestiegen. Es war entdeckt worden, also zog er in ein anderes weiter.
Verstecke, Nester, die ihn noch mehr wie ein Monster erscheinen ließen.
Andrew Dyson wurde auf dem Wohnzimmerboden gefunden, zusammengekrümmt auf der Seite liegend, die Hände auf den Stichwunden in seinem Bauch. Der Mörder war seelenruhig mit zwei langen, scharfen Messern auf ihn losgegangen und hatte sechsmal zugestochen, systematisch und wohlüberlegt. Die Stiche waren sauber und tief, an zwei Stellen: vorn und seitlich. Es gab keine weiteren Verletzungen. Dyson war langsam an Schock und Blutverlust gestorben, während sein Mörder im Haus umherging und in jedem Raum alle noch existierenden Spuren sorgfältig beseitigte.
Als die Polizei kam, war er schon lange fort, offenbar zu Fuß durch den Hinterausgang verschwunden. Kein Fahrzeug war je auf ihn zugelassen gewesen. Niemand kannte ihn. Auf seinem Bankkonto waren mehrere tausend Pfund, aber die Unterlagen waren unklar und nicht zurückzuverfolgen. Es wurde nie mehr ein Versuch gemacht, etwas davon abzuheben. Er gab das Geld genauso leicht auf wie seine Identität.
Frank Walker war einfach verschwunden und hinterließ Dysons Leiche: ein letztes Opfer, wie eine leere Hülle in einem Spinnennetz.
Danach enthielt die Akte nichts mehr, aber wie die Aufnahmen der Überwachungskamera schien sie noch einige unsichere Momente weiterzugehen, die im Grunde unnötig waren. Greg hatte eine komplette Untersuchung der Identität von Frank Walker ausgearbeitet und alle möglichen Wege beschritten, bevor er überall in einer Sackgasse gelandet war. Walkers Haus wurde praktisch bis auf die Grundmauern auseinandergenommen, was aber genauso wenig kriminaltechnische Hinweise brachte wie die früheren Tatorte des Mörders. Alle seine Nachbarn wurden vernommen. Keiner hatte ihn je gesehen.
Nichts kam dabei heraus.
Als ich damit zu Ende war, hielt ich jedoch Dinge für besorgniserregender, die nicht in der Akte vorkamen. Das Team hatte nach Dysons Tod den Auftrag für die Untersuchung behalten, aber sofort fiel auf, dass John Mercers Name nicht genannt wurde. Der Fall war wieder der Gesamtaufsicht von Detective Geoff Hunter unterstellt worden.
Ich sah von der Akte auf und zu Mercer hinüber.
Er saß immer noch in der gleichen Stellung da: Ellbogen auf dem Tisch, die gespreizten Finger, die vorn sein Haar hochgeschoben hatten, an sein gesenktes Gesicht gelegt. Immer noch völlig in die Unterlagen und Berichte vertieft, mit denen er sich abmühte.
Ich beobachtete ihn so unauffällig wie möglich und dachte an sein Buch, das ich noch einmal gelesen hatte, als mir mitgeteilt wurde, dass ich die Stelle bekäme.
Im ersten Teil sprach er detailliert über mehrere bekannte Fälle des Teams, auch über zwei, die ungelöst geblieben waren, aber der 50/50-Killer war nicht dabei. Und in den Kapiteln am Ende, wo er ausführlich über seinen Nervenzusammenbruch geschrieben hatte, schilderte er die Überbelastung durch Arbeit und den Druck, unter dem man stand, wenn Gedanken und Gefühle ständig mit einem Mörder nach dem anderen beschäftigt waren. Damit hatte er angedeutet, dass der allgemeine Arbeitsstress ihm das innere Gleichgewicht geraubt hatte. Dysons Tod wurde jedenfalls nicht erwähnt. Doch im Rückblick betrachtet sah man, dass der Zeitrahmen stimmte. Es konnte kein Zufall sein. Er hatte sein Team gnadenlos angetrieben, ein Mann war umgekommen, und kurz danach war er in die Klinik eingeliefert worden. Und es ging dabei nicht um irgendeine Ermittlung, sondern diese …
Mercer sah mich an.
Ich wandte mich wieder dem Bildschirm zu.
»Was ist?«
»Nichts, Sir.«
Aber er sah mich immer noch an, und ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde. Ich schaute noch einmal zu ihm hin. Sein Gesichtsausdruck sagte nichts aus, aber ich stellte mir vor, dass er meine Gedanken lesen konnte und ganz genau wusste, dass ich in einen Bereich seines Lebens eingedrungen war, der mich nichts anging. Jetzt trat ein Ausdruck des Begreifens auf sein Gesicht.
»Es ist schon fast sieben Uhr, oder?«
»Ach ja«, sagte
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