Der 50-50 Killer
ich, »aber das geht in Ordnung.«
Er lehnte sich zurück. »Nein. Es war ein langer Tag. Tut mir leid, so geht es eben manchmal. Wir werden noch viel länger hierbleiben, ist das ein Problem?«
»Gehört eben zum Beruf«, meinte ich.
»Ja, aber Sie haben noch nichts gegessen.« Er schaute auf seine Uhr. »Machen Sie eine halbe Stunde Pause.«
Ich wollte gerade Einspruch erheben, doch dann merkte ich, dass ich einen Riesenhunger hatte und ziemlich erschöpft war. Vor allem wollte ich eine Weile von diesem Büro und dem Ganzen weg.
»Gehen Sie nur«, sagte er. »Ich halte hier die Stellung.«
»Ja, Sir.«
»Außerdem muss ich meine Frau anrufen. Am Ende des Flurs ist eine Kantine. Da bekommen Sie was.«
Ich stand auf und ging zur Tür, zögerte jedoch, als mir klar wurde, was er mir gerade über die Kantine gesagt hatte. Ich warf einen Blick auf seinen Schreibtisch. Die Tasse Kaffee, die ich ihm gebracht hatte, stand jetzt leer auf der Ecke. Es schien ihm total entfallen zu sein, dass ich schon einige Male in der Kantine gewesen war.
»Kann ich Ihnen einen Kaffee mitbringen?«, fragte ich.
»Nein, danke.« Er war schon wieder mit voller Konzentration zu den Akten auf seinem Schreibtisch zurückgekehrt, machte sich Notizen und pendelte dann zwischen seinen Unterlagen und Notizen hin und her. »Diesmal nicht«, fügte er hinzu.
3. Dezember
12 Stunden 20 Minuten bis Tagesanbruch
19:00 Uhr
Eileen
Vier kleine Worte versetzten ihr Herz in Unruhe.
Ich muss länger arbeiten.
Im Arbeitszimmer stand Eileen am Telefon und spielte mit dem Kabel. Sie wickelte es um den Finger, ließ es los und rollte es wieder auf. Dann zwang sie sich, damit aufzuhören.
»Du passt doch auf dich auf, oder?«
Am anderen Ende sagte John nichts. Nach so vielen Jahren hatte sie Übung darin, dieses Schweigen zu interpretieren, und es war nicht schwer für sie, ihn sich jetzt vorzustellen. Er würde an seinem Schreibtisch sitzen und vor sich hin starren, sich konzentrieren.
Er wollte sie nicht unbedingt loswerden, doch er war nicht in der Lage, dem Gespräch seine ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Es dauerte immer einen Moment, bis die Frage ihren Weg durch alles andere in seinem Kopf gefunden hatte. Im Hintergrund hörte sie ihn nun tippen.
»Natürlich.«
Als ob das völlig klar wäre.
Als John ihr gesagt hatte, er überlege, ob er wieder arbeiten solle, hatte dies bei Eileen mehrere verschiedene Reaktionen hervorgerufen. Die erste war, dass sie es überhaupt nicht glauben konnte. Er hatte damals im Morgenrock halb zusammengesunken auf der Couch im Wohnzimmer gesessen. Sogar von Raum zu Raum zu gehen schien ihm schwerzufallen; er bewegte sich so langsam wie ein Invalide. Und deshalb hatte sie ihn nicht ernst genommen.
Als klar wurde, dass es ihm in gewisser Hinsicht doch ernst damit war, wurde aus ihrer Skepsis schnell ein fast rechtschaffener Zorn. Sie hatte ihn angeschrien: Was in aller Welt machte er eigentlich? Nicht mit sich selbst, wenn ihm das egal war, aber mit ihr? Sie hatte ihn an die Pflege erinnert, die er gebraucht und die sie geduldig übernommen, und an die Opfer, die sie gebracht hatte. Sie hatte über die Sorgen gesprochen, die sich angefühlt hatten, als hätten sie auch sie zugrunde richten können.
Nach dem Zusammenbruch ihres Mannes hatte Eileen das Gefühl, ihr ganzes Leben hielte den Atem an, während sie die Scherben aufsammelte, sie aneinanderfügte und betete, dass sie halten würden. Er hatte kein Recht, zu riskieren, dass sie das noch einmal durchmachen musste. Sie hatte etwas Besseres von ihm verdient, sagte sie ihm. Angeblich waren sie schließlich Partner.
Gekränkt hatte er ihre Worte akzeptiert. Und doch ließ sich Eileen im Lauf der Zeit erweichen. Tag für Tag betrachtete sie ihn und wusste, dass er geistig und emotional vor ihren Augen dahinwelkte. In dieser Zeit hatten sie beide etwas Hilfloses an sich. Mit glanzlosem Blick und ohne jede Energie wurde John mit jedem Tag erschöpfter. Gesundheitlich ging es ihm nicht besser, und er blieb nicht einmal auf dem gleichen Stand, sondern verfiel sichtlich. Und sie wusste nicht, wie sie ihm helfen konnte.
Deshalb schlug sie nach einiger Zeit vorsichtig vor, er könnte vielleicht wieder zur Arbeit gehen. Aber nicht so wie vorher, das war die Abmachung. Das dürfte er ihr nie wieder antun, hatte sie beharrt, und er hatte dem zugestimmt. Er würde sich nicht mehr auf Kosten ihres Zusammenlebens in seine Fallakten vergraben und nächtelang
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