Der 50-50 Killer
mit etwas anderem beschäftigt. Er wählte eine Nummer, wahrscheinlich um White die Neuigkeiten durchzugeben.
Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. Wenn man ihn ansah, kam es mir vor, als versuchte man von oben über den Wolken, ein Schlachtfeld zu beobachten.
Nachdem ich mit dem Befragungsteam gesprochen hatte, widmete ich mich wieder der Akte. Es war noch ziemlich viel Material zu lesen, und ich würde dadurch mehr Einblicke in die Tagesereignisse bekommen, als mir lieb war. In diesem Teil ging es um Detective Andrew Dyson.
Dyson, Vater von drei Kindern, hatte länger als zehn Jahre in Mercers Team gearbeitet. Ich hatte ihm bei der Befragung von Daniel Roseneil zugehört, der ihm alles über den Teufel erzählt hatte. Ein Jahr danach begegnete Dyson dem Teufel persönlich und wurde dabei zum letzten bekannten Opfer des 50/50-Killer.
Jetzt, zwei Jahre später, saß ich an seinem früheren Schreibtisch und betrachtete mir Aufnahmen von dem Tag, an dem es passiert war.
Der Film war von einer Überwachungskamera aufgenommen worden, die in einer ruhigen Vorortstraße auf einem Laternenpfahl montiert war. Sie war schlecht eingestellt, bot aber eine recht gute Sicht auf die Straße. In vielleicht fünfzig Meter Entfernung von der Linse sah ich Dyson. Er hatte vor einem normalen Doppelhaus geparkt und ging zur Haustür. Die Uhrzeit in der Ecke des Bildschirms war 14:13 Uhr. Dies waren Dysons letzte Minuten, das letzte Mal, dass er von irgendjemandem lebend gesehen wurde. In diesem Fall war dieser Jemand ein digitales Aufzeichnungsgerät, dessen Sicht kälter und distanzierter war als die eines wirklichen Zeugen und die ihn dadurch noch verletzlicher erscheinen ließ. Auf dem Bildschirm wirkte er schon jetzt einsam: Die Hände in den Taschen, den Mantel wegen der Kälte eng um sich gezogen. Ich hätte am liebsten die Hand ausgestreckt und ihn gewarnt, sah aber einem Geist zu und konnte stattdessen nur zum Kaffee greifen und zusehen, wie die letzten Augenblicke seiner Geschichte sich noch einmal wiederholten.
Es war drei Monate her, dass die Clarks überfallen worden waren, und inzwischen hatte man die Ermittlungen eingestellt. Es gab so wenige brauchbare kriminaltechnische Ergebnisse, und eine Handvoll Anhaltspunkte waren schon im Sande verlaufen oder ausgeschöpft. Mercers Mittel wurden ständig gekürzt und seine Männer allmählich neueren, dringenderen Aufgaben zugeteilt. Doch bis jetzt hatte das Team selbst noch nicht aufgegeben, oder zumindest Mercer selbst hatte das nicht getan. Sie gingen jede Tatsache, die sie hatten, noch einmal durch, sprachen noch einmal mit Freunden, mit der Familie und den Nachbarn, versuchten, Lücken zu füllen und weiteren Einzelheiten nachzugehen, wo immer sie konnten.
Ich wusste, wie es ist, wenn man es mit der letzten Phase einer Ermittlung zu tun hat, die zu nichts führen würde. Es war unvermeidlich. Man wusste bereits, dass man versagt hatte, aber man machte trotzdem weiter und hoffte auf irgendeinen glücklichen Zufall. Aber nicht auf so einen.
Das Haus, zu dem Dyson wollte, war ebenso flach und viereckig wie die blassroten Backsteine, aus denen es erbaut war. Es sah aus, als sei es als Aufpasser für die aufwendigeren Anwesen in der Ferne erstellt worden. An der einen Seite war eine lange, gerade Einfahrt, die in eine dunkle Garage mündete. Zwei Mülleimer, ein schwarzer für Restmüll und ein grüner für Biomüll. Der eigentlich ordentliche Vorgarten war nur in den Wintermonaten nicht gepflegt worden. Ich sah, dass die Büsche leicht im Wind zitterten. Die Wolken dahinter sahen dunkelgrau gefleckt und unheilvoll aus. Unter diesem Himmel ließen die leeren Zwischenräume die Häuser an der ganzen Straße wie eine Reihe düsterer Grabsteine erscheinen, kalt und verwittert wie auf einem Friedhof an einem steilen Hang.
Dyson hatte geklingelt. Jetzt trat er in der Kälte von einem Bein auf das andere. Er wirkte so schmächtig, wie verkleinert vor dem großen Haus, das aussah, als könne es ihn leicht einfach verschlucken.
Na los, komm schon, dachte ich.
Er rieb sich die Hände.
Es ist eiskalt hier draußen.
Ich sah ihn die Straße nach beiden Seiten hinunterschauen, bevor er noch einmal klingelte.
Die Überwachungsgeräte, die der Mörder einsetzte, waren teuer und spezialisiert, doch es gab mindestens zwei Geschäfte in der Stadt, wo man sie kaufen, und viele Webseiten, wo man sie übers Internet bestellen konnte. Es lag in der Natur der Sache, dass die
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