Der 7. Lehrling (German Edition)
gespannt den Falter beobachtet und sich ganz still verhalten. Nun konnte sie sich kaum noch zusammenreißen, weil der Falter sie mit seinen Füßen an der Stirn kitzelte. Sie saß auf einer kleinen Kuppe unter einem Baum und machte Mittagspause. Seit der Regen aufgehört hatte, hatte sie wieder richtig gute Laune. Zwar war ihr seit Jeldrik kein weiteres Kind mit der
Gabe
mehr begegnet, aber was nicht war, konnte ja noch werden!
Meara war in den vergangenen Tagen immer lange gewandert und hatte dabei so viel von ihren Aufgaben geschafft, dass sie es sich jetzt leisten konnte, ein wenig zu bummeln. Im Tal vor ihr verlief die Straße von Treer nach Enden; die große Handelsstadt an der Küste lag etwa einen oder zwei Tage weit im Nordwesten.
Während sie genüsslich an einem Hähnchenschenkel nagte, den sie sich aus der letzten Herberge mitgenommen hatte, betrachtete sie ihre Karte. Plötzlich vergaß sie weiterzukauen und starrte auf die kleinen Punkte.
Meara legte den Zettel weg, rieb sich mit der freien Hand die Augen und schaute noch einmal genauer hin. Dass der Zitronenfalter erschrocken auf- und davonflog, merkte sie nicht. Sie blickte konzentriert auf die Karte und stellte fest, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Was war da los? Etliche der Punkte waren von ihrem Weg abgewichen! War der siebte Lehrling gefunden? Aber sie hatte doch gar keinen Ruf vernommen!
Verwirrt versuchte sie, in den Bewegungen der Punkte ein Muster auszumachen. Es war merkwürdig: Einige waren in gerader Richtung nach Filitosa unterwegs, andere strebten scheinbar auf benachbarte Sucher zu.
Gespannt beobachtete sie die Rückseite ihres Laufzettels und aß weiter. Dabei fiel irgendwann ihr Blick auch auf den Bereich, in dem sie selbst unterwegs war. Meara entfuhr ein Laut der Überraschung: Ihre Nachbarin aus dem Nordwesten war mit großer Geschwindigkeit direkt in ihrer Richtung unterwegs!
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Medard hatte wieder seinen Beobachtungsposten am Stollenknick eingenommen. Plötzlich drehte er sich mit dem Zeigefinger auf den Lippen um und zischte den Gefangenen zu: „Seid mal ruhig, da draußen ist irgendetwas los!“
Als die anderen schwiegen, hörten sie es auch. Vor der Höhle waren laute Stimmen zu hören – in ihrer eigenen Sprache! Sie konnten allerdings nur Wortfetzen verstehen. Gespannt warteten sie ab, was Medard berichten würde.
Nach einigen Minuten kam Medard in die Höhle und winkte allen zusammen zu kommen. Eilig versammelten sich die Gefangenen in der Mitte um das Feuer.
„Die
Horden
haben scheinbar Verstärkung erhalten! Eben ist eine größere Gruppe Männer angekommen, die unsere Sprache sprechen. Keine Ahnung, wie viele es genau sind, aber dem Hufgetrappel und den Stimmen nach zu urteilen sicherlich zwanzig, wenn nicht mehr.“ Medard zog die Stirn in Falten. „Was mich wundert, ist, dass es keine Auseinandersetzung gab. Es war eher eine Art Begrüßung. Scheinbar wurden sie erwartet …“
Medards Vater nickte. „Jetzt ist auch klar, warum wir heute Morgen nicht weitergezogen sind. Und auch, von wem die fremden Krieger dieses ausgezeichnete Versteck kannten … Sicher eine Bande von Wegelagerern, die ihr Stück vom Plünderungskuchen abhaben wollen – da halte ich jede Wette!“
Es war genau so, wie Medards Vater vermutete: Eine Bande von Söldnern hatte sich den
Horden
angeschlossen. Fast dreißig zwielichtige, schmutzige Gestalten in den unterschiedlichsten Kleidern. Einige unter ihnen von Brust- und Rückenpanzern aus Leder geschützt. Alle bis an die Zähne bewaffnet mit Keulen, Messern, Streitäxten, Langbögen oder Schwertern.
Einer von ihnen war offenbar von dem gleichen Volk wie die
Horden
. Er hatte dieselben fremden Gesichtszüge, trug allerdings andere Kleidung. Sein Haar war nicht zu einem Zopf gebunden, sondern hing offen über seinen Rücken hinunter. Dieser Söldner diente anscheinend seinem Anführer als Übersetzer. Er stand ein wenig hinter seinem Befehlshaber und flüsterte ihm ständig ins Ohr, während sich dieser mit dem Anführer der
Horden
unterhielt.
Gerade waren sich die beiden Anführer wohl einig geworden, denn jeder von ihnen wandte sich an seine Leute, um etwas zu ihnen zu sagen. Medard, der wieder im Stollen lauschte, musste sich nicht anstrengen, um zu hören, was der Neuankömmling seinem Gefolge auszurichten hatte. In knappen, aber dafür lauten Sätzen sprach er zu den Söldnern: „Unsere Forderung wird erfüllt: Den zehnten Teil von jeder Beute. So lange, bis
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